Heiliger Benedikt – erfundene Gestalt?

Historikerin Dr. Anne Müller referierte im Kloster

Historikerin Dr. Anne Müller. Foto: Seefried

Sein Debüt als Vortragsstätte erlebte der sanierte Westflügel des einstigen Heidenheimer Benediktinerklosters Heidenheim – wie könnte es nicht passender sein – mit einem Vortrag von Dr. Anne Müller, die als wissenschaftliche Kraft sehr viel für das Klosterprojekt getan hat.

Dr. Müller sieht in dem Heiligen Benedikt den „Vater des abendländischen Mönchstums“. Die Wissenschaftlerin befasst sich schwerpunktmäßig mit dem klösterlichen Leben des Mittelalters und rühmt den Heiligen als „Architekten der Einheit des Abendlands“, von dem allerdings keinerlei biografische Hinterlassenschaften vorliegen. Erst Jahrzehnte nach seinem Ableben hat sich die Wissenschaft mit dem seinem Leben und Wirken beschäftigt. So stellt sich die Frage, wann er gelebt hat, ob er eine „erbauliche Gestalt“ der Geschichte  oder eine Kunstfigur des Mittelalters ist.

Der Wissenschaftlerin lag in ihrem gewohnt temperamentvollen und sehr verständlichen Vortrag daran, die Legende des Heiligen Benedikt vorzustellen und auf die Welt der Klöster einzugehen. Sie führte zurück in die Gedankenwelt des 6. Jahrhunderts, als in Rom das Chaos herrschte („von der Pest gebeuteltes, elendes Nest“), die Byzantiner einfielen und auch die Langobarden Einfluss gewannen. Im 11. Jahrhundert setzte Papst Gregor d.G. (590-601) Zeichen, denn von ihm stammt die einzige und erste Lebenserzählung des Heiligen, er gilt als der Urheber und Schöpfer der Benediktlegende. 590 wurde Gregor als erster Mönchspapst gekürt.  In seinen „Büchern der Dialoge“ rühmt er den „Mönchsvater des Abendlands“. Er lieferte die einzige Beschreibung von Benedikts Leben und beschreibt dessen „erbauliche Taten“, die als Wunder Eingang in die Religionsgeschichte gefunden haben. Demnach ging Benedikt von Nursia nach dem Abbruch seines Studiums in die klösterliche Einöde Subiaco in Norditalien. Und weil er als Abt des Klosters Vicovaro an die straffen Zügel nehmen wollte, versuchten diese, ihn mit einem Giftanschlag loszuwerden, und ließen sieben nackte Mädchen tanzen. Das zeigt offenbar Wirkung, denn Benedikt flüchtete ins Kloster Monte Casino und suchte dort die Einsamkeit. Das Kloster aber wurde zerstört, und zwar gleich dreimal: von den Langobarden, durch ein Erdbeben und durch die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs, als diese in ihm deutsche Soldaten vermuteten.

„Papst Gregor hat Benedikt in das kollektive Gedächtnis gepflanzt“, sagt Historikerin Dr. Anne Müller, die darauf hinweist, dass es zu dieser Zeit eine Flut von klösterlichen Regeln gegeben hat, aber die benediktinische („tiefe Menschlichkeit“) war die fortschrittlichste von allen (dazu wird der Benediktiner Notker Wolf am 6. November referieren, bereits am 5. Juni ist eine Vortragsveranstaltung zum Reliquienkult).

Im 8. Jahrhundert kamen von England ausgehend die Glaubensboten um Bonifatius nach Mitteleuropa und setzten auf ihrer Reise nach Rom ihre „Duftmarken“. Zu einer solchen darf sich auch das kleine Heidenheim zählen, das 752 von Wunibald gegründet wurde. Das erste Kloster schuf übrigens der Glaubensbote Gallus mit zwölf Mönchen in St. Gallen und zugleich das erste Siechenhaus der Schweiz. Eine wissenschaftliche Fundgrube für Dr. Anne Müller ist der Klosterplan von 820, quasi eine architektonische Aufzeichnung auf einer Kuhhaut (1,10 mal 0,80 Meter) mit Grundrissdarstellung von 52 Gebäuden. Sie ist  die älteste überlieferte Architekturzeichung des Abendlands und gleichsam ein Organigramm für die heutige Wissenschaft. Dr. Müller wird vom 4. Bis 6. Oktober eine Studienreise nach St. Gallen , die Reichenau und nach Unteruhldingen unternehmen und dabei den „Leuchtturm unter den frühen Klöstern“ vorstellen. Schon 719 hat es in der schweizerischen Stadt die erste Klosterbibliothek des Abendlands gegeben. Die meisten der 426 handgeschriebenen Bücher aus dieser Zeit sind erhalten geblieben. Es sind nicht mehr die Originale, denn diese sind bei einem Brand im Kloster Monte Casino zerstört worden. Indes: die Abschriften hat Kaiser Karl der Große dem Kloster St. Gallen vermacht. Zu den bekanntesten zählt der „Goldene Psalter“, dessen karolingischen Minuskeln in Gold geschrieben sind.

WERNER FALK

Der neu eingerichtete Klosterladen. Foto: FR Presse

 

Das älteste Buch der Benediktinerregel ist im Kloster St. Gallen zu sehen.

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