Streitschrift für barrierefreies Denken von Wolf Lotter
Auf dem Weg von der alten Industriegesellschaft zur neuen Wissensgesellschaft gilt der Journalist Wolf Lotter als Vordenker. Der Mitbegründer des Wirtschaftsmagazins „brand eins“ hat jetzt ein Buch mit dem Titel „Innovation“ verfasst und fordert darin auf, „neues Denken“ anzugehen. Wenn man es wörtlich nimmt, dann bewegt sich der Autor ganz auf der Linie von Christian Lindner. Der FDP-Chef hat das ganze Programm der Liberalen unter dieses Motto gestellt und war damit 2017 erfolgreich.
Wolf Lotter liefert mehr als nur Schlagzeilen, aber auch die haben es in sich und spiegeln die ganze Breite der Thematik wider:
„Innovationen sind das Leben, das wir noch vor uns haben“
„Veränderung in unserer Kultur dürfen nicht mehr als Bedrohung gelten, sondern als Angebot“
„Man soll dem Neuen einiges zutrauen, aber blind vertrauen muss man ihm nicht“
„Neues Denken, das geht nur ohne Scheuklappen“
„Kümmerer produzieren Verkümmerte – das ist eine große Barriere gegen alles Neue“
Eingangs seines Buches, das als Teil der Edition Körber (Hamburg) erschienen ist, ordnet er den Sozialstaat von heute als ein Regelwerk der Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts ein. Er möchte, dass das oberflächliche Innovationsgerede als Neusprech entlarvt wird, denn es will wahre Innovationen verhindern. Nach Ansicht des Autors müssen gesellschaftliche Veränderungen kommen, denn die gute alte Ordnung, wonach die Menschen morgens zur Arbeit fahren und am Abend wieder zurückkehren, geht verloren. In der digitalen Wissensgesellschaft könne Deutschland nicht mithalten, wenn sich nicht ganz entschieden der Blick nach vorn richte. Dass sich auch gescheite Kritiker irren können, das belegt der Autor mit dem „Spiegel“ und seinen Titeln (u.a. „Fortschritt macht arbeitslos“). Dort wird vor einer technologischen Massenarbeitslosigkeit gewarnt und die Seelenlage rückwärts denkender Menschen dokumentiert: „Fortschritt ist unser Feind“.
Wie gesagt, es geht nicht ohne Veränderungen. Wolf Lotter findet, dass Deutschland eine neue Allgemeinbildung braucht, die auf dem humanistischen Bild aufbaut und zum Denken in Zusammenhängen führt. Er sieht die Festanstellung im Kopf als den Feind der Veränderung. Hierzulande werde Disziplin mit Intelligenz verwechselt. Das produziere Menschen, die sich allein nicht helfen könnten und immer mehr vom Fürsorgestaat wollten. Ein Trost ist ihm Wilhelm von Humboldt, dessen Bildungsreform vor 200 Jahren schon darin bestand, gute Traditionen mit dem Zutrauen in die Bewältigung des Neuen zu verbinden.
Das „neue Denken“ ist hauptsächlich am Arbeitsplatz der Menschen gefordert. Der Verfasser fragt sich: Was hält Manager davon ab, die Kreativität ihrer Mitarbeiter zu fördern? Seine Antwort: Es ist die Absicherung der eigenen Macht und der damit verbundenen Privilegien. Deshalb: Es sind die Innovationsverhinderer, die frustrierte Mitarbeiter produzieren. Das Gleichheitsgerade ist zum Feind aller Erneuerung geworden. Christian Lindner, der junge Chef der Freidemokraten, darf sich jedenfalls bestätigt sehen in seiner Philosophie, die im Grunde nur eines will: die Selbstbestimmung des Menschen als Vorrang vor dem allumfassenden Fürsorgestaat.
„Innovation“ (Streitschrift für barrierefreies Denken), Edition Körber, 220 Seiten, ISBN 978-3-89684-262-6, 18 Euro.
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