Ludwig Thoma aus anderer Sicht

Über sein „erdichtetes Leben“   ist ein Buch  bei dtv erschienen

Man darf wohl prognostizieren: Alle kennen Ludwig Thoma als Schriftsteller und Heimatdichter  („Lausbubengeschichten“, „Der Münchner im Himmel“, „Jozef Filsers Briefwexel“) und Satiriker („Simplicissimus“ und „März“) und viele Menschen verehren ihn bis heute ob seiner derben  Sprüche. So ist er zum populären Volkspoeten geworden. Gelebt hat er von 1867 bis 1921.

Womit sich viele seiner Verehrer lange nicht beschäftigt haben, ist seine rechtsradikale und antisemitische Seite, die er vor allem in den letzten zehn Lebensjahren offenbarte.  Mit 50 Jahren begann er seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Darin schönt er seine persönlichen Verhältnisse, wie der Münchner Autor Martin A. Klaus in seinem jetzt bei dtv erschienenen Buch „Ludwig Thoma – ein erdichtetes Leben“ feststellt. Er ist Thoma-Kenner, denn der frühere SZ-Redakteur hat dreißig Jahre lang rechierchiert.

Thoma war nach Schilderung des Autors nicht das klischeehafte in sich ruhende bayerische Mannsbild. Seine Jugend war geprägt vom frühen Tod des Vaters. Selbst die Mutter war für ihn nicht die erste Bezugsperson, sondern die Haushälterin der Familie. Ihr war er zeitlebens zugetan und in ihr suchte er Halt. Stabilität gaben ihm seine ausgesuchten Frauen aber nicht, stattdessen war er immer hin- und hergerissen. Zunächst heiratete er Marietta di Rigardo (genannt Marion), nach der Trennung von ihr suchte er immer wieder die Nähe zu Maidi Liebermann aus der Sektdynastie Feist-Belmont. „Irritationen im Gefühlsbereich lösten  bei Thoma gerne verbale Eruptionen aus“, diagnostiziert der Autor.

Ludwig Thoma, der sich von  nicht nur von seinen lieb gewordenen Dachauer Bauern „Doktor Thoma“ titiulieren ließ obgleich er niemals promoviert hatte, war der Job als Rechtsanwalt nicht lebenserfüllend. Er nutzte schon bald sein Talent, die Dinge auf den Punkt zu bringen und ging zum „Simplicissimus“, der Münchner Satirezeitung, deren Chefredakteur er dank der Zuneigung des Verlegers Albert Langen wurde.  Er brachte seine Derbheiten aufs Papier und scheute auch vor Verleumdungen nicht zurück, so dass er für etliche Wochen in Stadelheimer Haft kam.  Thoma war übrigens auch zeitweise Chefredakteur der linksliberalen Zeitschrift „März“. Sein Nachfolger war kein Geringerer als Theodor Heuss, der spätere liberale Bundespräsident. Damals gab sich Thoma noch progressiv: „Wir wollen Platz haben für jeden, der den im Frieden vereinigten Staaten von Europa das Wort redet“. Und er gab sich als Friedensengel: „Nichts hasse ich mehr als die Anschauung, dass von Zeit zu Zeit die Völker ihre männlichen Eigenschaften im Kriege erproben müssen“. Neun Jahre  später räumte er ein, sein größter Irrtum sei sein Glaube an Europa gewesen.

Wie der Autor feststellt, orientierte sich Thoma weniger an eigenen charakterlichen Grundsätzen als an der allgemeinen politischen Stimmung. So bejahte er bald den Kriegskurs von Kaiser Wilhelm II.  und ging nach nach auf Distanz zu den Satirezeitungen. Das harte Urteil von Martin A. Klaus: „Er warf keine Überzeugung über Bord, denn er  hatte keine. Er hatte lediglich eineinhalb Jahrzehnte lang gegen Honorar für eine populäre Auffassung geschrieben“. Und er ergänzt: „Unter Journalisten keine ungewöhnliche Handlungsweise.“  Selbst Ludwig Ganghofer, der geschätzte Schriftstellerkollege, lieferte für die „Münchner Neuesten Nachrichten“ (Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung) pathetische Kriegsberichte. Für etliche Monate war Thoma  als Sanitätssoldat im Kriegseinsatz in Frankreich und gab sich heldenhaft: „Je dicker es kommt, desto fröhlicher ist`s mir ums Herz.“ Er schloss sich der „Deutschen Vaterlandspartei“ an.

Sprachlich geschliffen lieferte Thoma im „Miesbacher Anzeiger“ plumpe Hetzerei. Autor Klaus schreibt von einer „politischen Dreckschleuder“.  Eineinhalb Jahre lang erschienen seine Artikel unter einem Pseudonym, aber in der Szene war allen bewusst, wer die Feder führte. 175 antisemitische Hetzartikel erschienen. Das Lokalblatt, das eine Auflage von 18000 Exemplaren hatte, wurde sogar in Berlin gelesen.  Ludwig Thoma schrieb fortan „für alle Freunde kerndeutscher Gesinnung“. Er hatte Kontakte zur antisemitischen Thule-Gesellschaft, der ideologischen Vorläuferin der Nazi-Organisation. Klaus kommt zur Überzeugung, dass Thoma seinen Aggressionen immer dort Luft verschaffte, wo er der Zustimmung einer Mehrheit sicher sein durfte. Dies und keine politische Grundüberzeugung sei  die Triebfeder  seines Handelns  gewesen. Seine Zielscheibe waren jüdische Persönlichkeiten,  denen er früher mit unterwürfiger Wertschätzung begegnete, die er jetzt  aber diffamierte und persönlich herabsetzte.  Der sprachlich nicht besonders bewanderte junge Redner Adolf Hitler soll sich gerne der „Vorlagen“ von Thoma  bedient haben. Und wenige Tage vor der Ermordung des USPD-Politikers Karl Gareis wiegelte er die Freikorps auf: „Schauen wir zu, dass noch einmal der rote Fetzen durch München getragen wird? Oder schlagen wir jeden Hund tot, der das arme Vaterland in neues Verderben stürzen will?“

Im Münchner Rotkreuz-Krankenhaus („Ich muss Heimatluft und Heimatkost haben, hier würgt mir der Ekel an jedem Bissen“) musste er sich im August 1921 einer Magenkrebs-Operation unterziehen. Noch einmal wollte er in sein Haus in die Tuften bei Tegernsee zurück. Freunden gegenüber verharmloste er seine Krankheit („Nur der Magen muss aufgepäppelt werden“), aber schon einen Tag später, am 26. August 1921, starb er.                                                                                                                    WERNER FALK

Martin A. Klaus: „Ludwig Thoma – ein erdichtetes Leben“, 304 Seiten, ISBN 978-3-423-28103-4, 26 Euro, dtv Sachbuch.

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