Europäischer Tag der jüdischen Kultur in der Synagoge in Hainsfarth

Das Motto: „Brücken bauen“

„Brücken bauen“ war das Motto des diesjährigen „Europäischen Tags der jüdischen Kultur“, der auch in der Synagoge Hainsfarth begangen wurde. Sigi Atzmon, die Vorsitzende des Freundeskreises Synagoge Hainsfarth, führte die Gäste auf den Judenfriedhof („Was Steine erzählen“), Kreisheimatpfleger Herbert Dettweiler („Menschen schlagen Brücken und sie schlagen Wurzeln“) und Walburga Mehl aus Reimlingen (Vorsitzende der Katholischen Erwachsenenbildung Donau-Ries) gingen das Thema aus der regionalen und gesellschaftspolitischen Perspektive an. Xaver Deniffel, Gästeführer aus Augsburg, stellte die Synagoge in ihren Facetten vor.

Kreisheimatpfleger Herbert Dettweiler, Diplompsychologin Walburga Mehl (links) sowie Xaver Deniffel (rechts) gestalteten auf Einladung von Sigi Atzmon (Zweite von rechts), der Vorsitzenden des Freundeskreises Synagoge Hainsfarth, den „Europäischen Tag der jüdischen Kultur“.  Foto: FR-Presse

Kreisheimatpfleger Herbert Dettweiler, Diplompsychologin Walburga Mehl (links) sowie Xaver Deniffel (rechts) gestalteten auf Einladung von Sigi Atzmon (Zweite von rechts), der Vorsitzenden des Freundeskreises Synagoge Hainsfarth, den „Europäischen Tag der jüdischen Kultur“. Foto: FR-Presse

Dass Jugendliche der Schülerfirma DUPF aus Oettingen seit vielen Jahren die alten Menschen im Seniorenheim die Scheu im Umgang mit Computern und Smartphons nehmen, das ist für Herbert Dettweiler ein lobenswerter sozialer und bürgerschaftlicher Aspekt des Brückenschlagens. Im Kontakt mit den Senioren erführen sie viel Authentisches aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Wurzeln geschlagen hätten die jüdischen Mitbürger auch in Hainsfarth. 1811 habe es mit 474 Mitbürgern (97 Familien) den höchsten Anteil der Juden an der Bevölkerung des Riesdorfes (fast 50 Prozent) gegeben. Hitler und seinen Schergen sei es allerdings gelungen, „die Juden mitsamt den Wurzeln auszureißen“. Nur wenige Menschen im Ries hätten damals aber wirklich Alarm geschlagen. Dettweilers Forderung an die Gesellschaft: „Wir müssen Brücken bauen zwischen möglichst vielen Menschen, die sich mit ihren unterschiedlichen Lebenserfahrungen gegenseitig bereichern können.“ Er selbst war in den letzten sechs Jahren dreimal im Heiligen Land, wo er die Not der Palästinenser ebenso erlebt hat wie den Hass der beiden Volksgruppen, aber auch die „versöhnte Verschiedenheit“ von Juden, Christen und Muslimen in einem Kinderheim bei Jerusalem. Und Dettweiler („Versuchen wir, Brückenbauer zu werden“) sieht auch einen aktuellen Bezug, indem er anmahnt, Respekt zu haben vor anderen und kleine Brücken zu den Abertausenden von Flüchtlingen zu bauen, die nach Europa kommen.
Walburga Mehl („Jude zu sein gilt nicht nur als Religion, sondern gleichsam als Lebensstil“) sieht die 1905 in Dresden gegründete Künstlergruppe „Die Brücke“ nicht nur als Synonym für zukunftsweisende Malerei und Wegbereiterin für den Expressionismus in Deutschland, sondern auch als Beleg für die menschenverachtende Diffamierung („Entartete Kunst“) ganzer Bevölkerungsgruppen durch die Nationalsozialisten. Juden, jüdische Künstler, ja alle Aspekte von jüdischer Kultur oder jüdischem Leben seien als undeutsch, als verabscheuungswürdig ausgegrenzt, deportiert und ermordet worden.
„Wir dürfen dabei nicht vergessen“, so die Diplompsychologin Walburga Mehl, „dass die deutsche Geschichte, ja dass die ganze europäische Kultur von jüdischen Einflüssen so durchwoben ist und derart bereichert wurde, dass unsere Kultur nicht denkbar ist ohne die unzähligen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft, die sich mit ihrer schöpferischen Kraft oder ihrem Intellekt und Fleiß an der Ausgestaltung der europäischen Kultur beteiligt haben“. Es gebe viele Künstler, Wissenschaftler und Autoren aus jüdischen Familien, die die europäische Kultur und das ganze Weltbild maßgeblich geformt hätten. Der europäische Tag der jüdischen Kultur könne helfen, dass allen wieder bewusst werde, wie nahe sich Juden und Christen doch eigentlich seien und wie klein Gräben werden könnten, wenn man von beiden Seiten anfange, eine Brücke zu bauen. „An uns“, so Mehl, „liegt es, dass jeder und jede eine solche Brücke findet, eine Ponte della Liberta, eine Brücke zur Freiheit“.

Aus dem Dornröschenschlaf erwachte die Synagoge, die in der NS-Zeit innen, aber nicht außen zerstört wurde und die nach dem Krieg der Gemeinde als kommunaler Bauhof diente, im Jahr 1967. Die Gemeinde nahm das Gebäude in Besitz und sanierte es zusammen mit der fachlichen Begleitung durch das Landesamt für Denkmalpflege für rund eine Million Mark.  Der Bau von 1861 ist ein Werk des Architekten Eduard Bürklein, der auch die Pläne für die Heidenheimer Synagoge lieferte. Wie Xaver Deniffel  den Besuchern sagte, ist die Synagoge seit 1996 eine Begegnungsstätte zwischen Juden und Christen.

Auf dem Hainsfarther Judenfriedhof (er stammt aus dem Jahr 1851) informierte Sigi Atzmon über die jüdischen Bestattungsriten. Die bekanntesten Hainsfarther Juden, die dort ruhen, sind der 1842 geborene Gründer des Münchner Bankhauses Aufhäuser, Heinrich („Hirsch“) Aufhäuser und der Großvater Mendel Gift der als Münchner Volksschauspielerin bekannt und berühmt gewordenen Therese Giehse.

Der Freundeskreis in Hainsfarth mit seiner Vorsitzenden Sigi Atzmon  hat ein attraktives Jahresprogramm zusammengestellt. In den nächsten Wochen und Monaten sind zwei Termine beachtenswert: „Verfemte Musik“ am 17. September, um 19.30 Uhr. Gespielt wird Unterhaltungsmusik der 20er und 30er Jahre. Aus der Feder jüdischer Komponisten stammen beispielsweise die Lieder „Wenn die Elisabeth“ oder „Wir sind von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ (5 Euro Eintritt). Am Montag, 9. November, um 20 Uhr ist eine Gedenkveranstaltung zur „Reichspogromnacht“ mit dem Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke.

 

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