TTIP bedroht nicht jede Bratwurst

Slow Food dankt Minister Schmidt für die Eröffnung einer überfälligen Diskussion

„Slow Food Altmühlfranken ist Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt für seine Äußerungen zum Schutz europäischer regionaler Spezialitäten sehr dankbar, obwohl er damit eine Debatte eröffnet hat, an deren Ende möglicherweise ausgerechnet die Nürnberger Bratwurst geopfert werden könnte,“ kommentierte Dieter Popp als Vorsitzender von Slow Food Altmühlfranken die durch Christian Schmidts ausgelöste heftige Debatte. In dieser entzünden sich nämlich nun die Gemüter über denkbare Zugeständnisse der EU beim Schutz eingetragener regionaler Spezialitäten gegenüber den USA im Zuge der Verhandlungen um das gemeinsame Freihandelsabkommen TTIP. Auch wenn man angesichts der massiven Bedenken gegen die Inhalte von TTIP nicht unbedingt Mifrank0512 121ein Freund amerikanischer Argumentationslinien sein kann, haben sie hier sehr geschickt argumentiert und den Finger in eine europäische Wunde gelegt, die bislang von der EU weitgehend verharmlost worden ist. Und damit hat Christian Schmidt – offenbar unbeabsichtigt – die europäischen Verhandlungspositionen deutlich geschwächt.
Um was es da im Detail geht, ist nicht so einfach zu erkennen. Bei der Anerkennung europäischer Regionalspezialitäten durch die Kommission in Brüssel wird zwischen drei Kategorien unterschieden. Da gibt es die „Garantiert traditionellen Spezialitäten“ (g.t.S.), die „Geschützte geografische Angabe“ (g.g.A.) sowie das „Geschützte Ursprungszeichen“ (g.U.). Bei g.t.S. geht es um traditionelle Rezepturen wie die Pizza Napoletana, unabhängig davon, woher diese Zutaten stammen. Bei g.g.A. müssen entweder Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung aus der angegebenen Region, wie z. B. bei der Nürnberger Bratwurst oder dem Abensberger Spargel stammen oder dort verarbeitet sein. Und nur bei g.U. müssen die Zutaten tatsächlich aus der benannten Region stammen und dort auch verarbeitet worden sein, wie z.B. der Limpurger Weideochse oder der Spalter Hopfen. Der Schwarzwälder Schinken, der dort nur verpackt und vertrieben wird, wäre ein g.g.A.-Produkt. Der Dresdner Stollen nach original Rezept in Ungarn hergestellt, dürfte g.t.S. als Siegel nutzen. Und die beantragte, aber noch im Anerkennungsverfahren befindliche „Altmühlfränkische Bratwurst“ dürfte danach g.U. tragen, da bei ihr alle Herstellungs- und Verarbeitungsstufen in Altmühlfranken liegen müssen.
So betrachtet hat sich Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt aber ein Eigentor geschossen, denn auch wenn er sich für die Nürnberger Bratwürste (geschützt nach g.g.A.) keine Sorgen macht, zeigt diese Beschreibung der europäischen Schutz-Kategorien eindeutig, dass die in Nürnberg hergestellte Bratwurst sehr wohl aus dänischen, holländischem oder – wie jetzt diskutiert – US-amerikanischen Fleisch gemacht sein dürfte. Genau auf diese Ungereimtheiten haben die Amerikaner hingewiesen. Ja die Nürnberger Bratwurst dürfte sogar von einem Metzger in Chicago hergestellt werden, wenn er dazu das Fleisch aus Nürnberg bekäme.
Nur wenn man sich diese nicht immer einfach nachzuvollziehenden EU-Verordnungen einmal genauer ansieht, werden diese widersinnigen Inhalte erkennbar. Hinzu kommt noch, dass die drei europäischen Schutzkategorien noch bis vor kurzem mit dem gleichen Siegel gekennzeichnet wurden, so dass Verbraucher die Unterschiede nur aus den millimetergroßen Textteilen entziffern konnten. Das wurde glücklicherweise geändert . Es sollte nun eine Aufgabe des Bundesland-wirtschaftsministers sein, dass hier in Europa zunächst einmal unmissverständliche Regelungen für den Schutz regionaler Spezialitäten aufgestellt werden und dabei die auch von den Verbrauchern abgelehnten Mogelpackungen erst gar nicht berücksichtigt werden. Erfolgt dies nicht, haben es die US-Amerikaner sehr leicht, diese Schutzbestimmungen über TTIP auszuhebeln. Slow Food ist also Agrarminister Schmidt dankbar, dass er diese europäischen Defizite im europäisch-amerikanischen Dialog entdeckt und den entsprechenden Handlungsbedarf aufgedeckt hat. Nun sollte aber auch rasch gehandelt werden, empfiehlt Dieter Popp für Slow Food Altmühlfranken, denn noch haben wir das Heft des Handelns selbst in der Hand!
Und dabei gibt es auch noch weiteren Handlungsbedarf, denn im europäischen Vergleich gibt es von der einzig nachvollziehbaren Schutzstufe g.U. in Deutschland nur relativ wenig anerkannte Produkte. Dabei erfüllen sehr viele der hier unter g.g.A. deklarierten Regionalspezialitäten aber die Voraussetzungen für diese höherwertige Schutzstufe, der sie aber viel zu häufig einer vor allem in Deutschland zu wenig praxisorientierten Richtlinien-Auswertung zum Opfer gefallen sind.
Wenn Kommissionssprecher Gabriel Rosario aber auch noch andeutet, dass nur die wirtschaftlich erfolgreichsten europäischen Regionalspezialitäten in die TTIP-Verhandlungen einbezogen werden sollen, wird damit das Ende vieler fränkischer und bayerischer Spezialitäten eingeläutet! Denn ihr Merkmal ist ja oft die räumlich enge Verbreitung ihrer handwerklichen Herstellung mit einer dann auch nur regional bedeutsamen Wertschöpfung. Wenn die EU diese Reduktion der Anzahl geschützter Spezialitäten wirklich vorsehen sollte, werden die europäischen Regionen ein eigenes Kennzeichnungssystem außerhalb staatlicher Einrichtungen etablieren müssen. Die Arche-Produkte von Slow Food sind dafür bereits ein ausgezeichneter Einstieg!
Dieter Popp, Slow Food Altmühlfranken (altmuehlfranken@slowfood.de)

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Die Beiträge kommen vom Herausgeber und von Gastautoren. Im Mittelpunkt stehen kommunalpolitische und gesellschaftspolitische Themen. In meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins für Heimatkunde Gunzenhausen ist es mir wichtig, historische Beiträge zu veröffentlichen.

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