Neuerscheinung des Verlags ars vivendi in Cadolzburg
Das Last der Geschichte ruht auf der mittelalterlichen Stadt der Meistersinger mit ihrer Butzenscheibenromantik und der Lebkuchen, die als „Schatzkästchen des Reiches“ berühmt geworden ist. Neben Albrecht Dürer steht Julius Streicher, der NS-Gauleiter.
Im „ars vivendi“-Verlag in Cadolzburg ist jetzt die aktualisierte und erweiterte Auflage des Stadtführers „Tatort Nürnberg“ erschienen. Vom Reichsparteitagsgelädne bis zum Schauplatz der „Nürnberger Prozesse“ präsentiert das Buch die historischen Orte, klärt auf über ihre geschichtliche Bedeutung und ihre Nutzung im Wandel der Zeit. Liefert Hintergründe
und bietet alle nötigen Informationen, damit der Leser sich auf die Spurensache machen kann. Autoren sind der Feuilleton-Chef der Nürnberger Nachrichten, Steffen Radlmaier, und Dr. Siegfried Zelnhefer, der Pressechef der Stadt und Chefredakteur von „Nürnberg Heute“.
Die „Stadt der Reichsparteitage“, der „Nürnberger Prozesse“ hatte lange Zeit ein negatives Image, das geprägt war von ihrer Rolle während des Nationalsozialismus. Judenverfolgung und Naziaufmärsche verbinden noch heute die Menschen mit der Stadt, die sich für die Zeitgeschichte interessieren. Ein sichtbares Relikt dieser Zeit ist die Kongresshalle, deren Bau 1940 eingestellt wurde. Das halbrunde Gebäude mit einer Länge von 275 Metern sollte einst 60 Meter hoch werden. Heute ist der 35 Meter hohe Torso das größte sichtbare NS-Monumentalbauwerk in Deutschland, in dem seit 2001 das „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ seinen Sitz hat. Es wird auch gewerblich genutzt, zum größten Teil ist es aber Lager. Seit dem Kriegsende währt die Diskussion, wie mit dem Zeugnis des Nationalsozialismus umzugehen ist. Rund fünfzig Jahre nach dem Krieg stellt sich die Stadt offensiv diesem traurigen Kapital ihrer Geschichte. Sie hat das Doku-Zentrum geschaffen, das deutschlandweit als einmalige Einrichtung gilt, daneben kündet die „Straße der Menschenrechte“ und die jährlich Verleihung des Menschenrechtspreises von der Bereitschaft Nürnbergs, die jüngere Zeitgeschichte aufzuarbeiten.
Als ein Makel wird heute noch empfunden, dass der größte Volksverhetzer Julius Streicher hier aus Gauleiter tätig war, ja man kann sagen, sein Unwesen getrieben hat. Er war nämlich ausgesprochen sexistisch veranlagt, im Zuge der Arisierung des jüdischen Vermögens hat sich der korrupte Duzfreund Adolf Hitlers (einer der ganz wenigen) in geifernder Art als radikaler Antisemit dargestellt. Er gehörte nach Ansicht der Geschichtsforscher zu den geistigen Wegbereitern des Holocausts. Wenn auch seine „Kampfzeit“ in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus lag (ab 1940 wurde er sozusagen von der NSDAP wegen seiner bekannt gewordenen charakterlichen Defizite von der Öffentlichkeit verbannt), so war er doch 22 Jahre lang Herausgeber des „Stürmers“, des Kampfblatts der Nazis. Die Zeitung war jedoch immer sein Eigentum, nicht das der Partei. Übrigens: im „Gauleiterhaus“ am Marienplatz, so Streicher einst gewütet hat, sitzt heute der NN-Verleger Bruno Schnell. Das mag zunächst eine bizarre Erscheinung sein, tatsächlich aber kommt es dem Verleger darauf an, einen Kontrapunkt zu setzen. Wie kaum eine andere Persönlichkeit in der Nachkriegszeit hat er sich frühzeitig mit der Geschichte der Stadt auseinandergesetzt und Impulse gegeben für eine neue Kultur des Erinnerns.
„Tatort Nürnberg“ von Steffen Radlmaier und Siegfried Zelnhefer, 176 Seite, ISBN 978-3-86913-453-6, ars vivendi-Verlag Cadolzburg, 14,90 Euro.
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