Alt-Gunzenhausen: „Von Bettelvögten und Polizeidienern“ (1699-1920)
Bis 1958 kannten die Gunzenhäuser ihre Stadtpolizei. Sie hatten sie irgendwie lieb gewonnen. Die beiden (später drei) „Polizeidiener“ waren im Städtchen bekannt und viele hatten zu ihnen ein persönliches Verhältnis. Es war halt die „gute alte Zeit“, wie man landläufig so sagt. Sie waren privilegiert. Ihr äußeres Zeichen war die blaue Uniform der kommunalen Polizei im Gegensatz zu der grünen Dienstkleidung der staatlichen Beamten.
Letzter Chef der Stadtpolizei, die sich im Äußeren wie den Aufgaben nach von der Landpolizei unterschied, war Hans Richter (1938-1958). Er ist vielen alten Gunzenhäuser noch bestens bekannt als Ordnungshüter mit aufrechtem Gang und ebensolchem Charakter. Bei der HSG Gunzenhausen war er bis in das hohe Alter aktiv.
Im aktuellen Jahrbuch „Alt-Gunzenhausen“ widmen sich Stadtarchivar Werner Mühlhäußer und Werner Neumann dem kommunalen Polizeiwesen und verdeutlichen die Unterschiede zwischen den staatlichen und der kommunalen Ordnungskräften. Die staatliche Gendarmerie in Bayern (Landpolizei) geht auf das Jahr 1812 zurück. Sie war nach königlicher Anordnung militärisch organisiert. Von 1927 bis 2003 war sie im repräsentativen Haus von Karl Barthel in der Seckendorff-Straße 3 untergebracht bevor der Umzug in das alte Amtsgerichtsgebäude in der Rot-Kreuz-Straße 10 erfolgte.
Schon sehr viel früher als die staatliche Polizei geht die Gründung der Stadtpolizei zurück. Der erste „Bettelvogt“ (so die Bezeichnung) trat 1698 seinen Dienst an, wobei seine Arbeit hauptsächlich darin bestand, die „verarmten Bevölkerungsschichten“ zu überwachen, die von auswärts in die Stadt kamen. Deshalb auch sein Name „Bettelvogt“ oder „Bettelrichter“. Die Stadtoberen nannten ihn und seine Nachfolger „Aufseher auf liderliche Vaganten“ oder „Gassen Wechter“ oder „Aufseher der Bettler allhier“. Er hatte sich auch um die Pflege- und Beerdigungskosten für jene Leute zu sorgen, die „entweder krank im Spital liegen oder hier versterben“. Johann Leonhard Carl hieß übrigens der erste. Er und auch seine Nachfolger wurden vom Gunzenhäuser Stadtmagistrat nicht gerade finanziell toll ausstaffiert, weshalb sie auch noch Nebenjobs annehmen mussten (z.B. Schweinehirt).
Nach der Ära der Markgrafen von Ansbach herrschten kurzzeitig preußische Verwaltungsmuster und 1808 kam im Königreich Bayern die Municipalverfassung, nach der Gemeindereform von 1818 einen Bürgermeister und vier Municipalräte und ab 1919 noch 20 Stadträte dazu. Nach der „Dienst-Instruktion“ bestand die Schutzmannschaft aus vier Schutzleuten, die für öffentliche Ruhe und Ordnung zu sorgen hatten. Zunächst waren zwei „Polizeidiener“ (oder: „Polizeisoldaten“) tätig, die sich ab 1910 „Schutzmann“ nennen durften. Ihre Vorgesetzten in der Stadtverwaltung waren die „Polizeiofficianten“ (sie amtierten in der Rathausstraße 12, heute: Stadtmuseum).
Zu den Aufgaben der Schutzleute gehörte es u.a., auf dem Wochenmarkt auf die „gehörige Güte der Vitualien“ zu achten oder darauf zu schauen, dass von den Grundbesitzern die Obstbäume, Sträucher und Hecken jährlich von Raupen und Raupennestern gereinigt wurden. Natürlich waren sie auch Sittenpolizei. Wie ein Vorfall von 1913 zeigt, war der Magistrat eher nachsichtig, denn er verzichtete beispielsweise darauf, die „gewerbsmäßige Unzucht“ der ledigen Kellnerin Margareta Baumgärtner strenger zu ahnden.
Stadtarchivar Werner Mühlhäußer hat wahre Sissyphusarbeit geleistet und listet die Polizeidiener von 1807 bis 1919 auf. Er ist in den Annalen auf ein Delikt von frühem Antisemitismus gestoßen, wonach der Polizeidiener Schopf den Schnittwarenhändler Levi Bachmann als einen „elenden, mißrablen Juden“ verunglimpfte. Dafür gab es eine zwölfstündige Arreststrafe für die Ordnungsmann. Wenig später schlug er einen Dienstknecht blutig und musste für 24 Stunden in die Zelle. Seine spätere Bewerbung als Landgerichtsdiener hatte wohl auch deshalb keinen Erfolg, obgleich ihn der Stadtmagistrat als „schön und groß gewachsen“ sowie „im Rechnen und Schreiben vorzüglich bewandert“ webloben wollte. Toll trieb es auch der Polizeidiener Reißinger 1856, der zuvor „Zuchtdiener“ im Kaisheimer Gefängnis war und sich in Gunzenhausen wegen Amtsuntreue durch Unterschlagung schuldig machte. Er büßte seinen Job ein und fristete danach sein Dasein als Landpostbote. Der gebürtige Aufkirchener hatte die amtliche Polizeiinstruktion ignoriert, wonach den Polizeisoldaten auferlegt war, „ein nüchternes Benehmen zu pflegen, sich jeglichen Disputs zu enthalten und mit Klugheit, Ruhe und Besonnenheit vorzugehen“.
Im 20. Jahrhundert (1919) wurde die Gendarmerie aus der Armee herausgelöst und selbständige Einheit. Die Verstaatlichung der kommunalen Schutzmannschaften ging in Bayern von 1923-29 vor sich, dann wurde die Polizei der NS-Organisation unterworfen. 1945 gab es in 150 Städten mit mindestens 5000 Einwohnern eine selbständige Polizei (Stadtpolizei). Daneben sah die grün uniformierte staatliche Polizei nach dem Rechten. Hauptposten gab es praktisch in allen Kreisstädten, dazu in 1300 bayerischen Dörfern. Diese dezentrale Struktur war ein Wunsch der US-Besatzer, denn die wollten Konsequenzen aus der zentral gesteuerten NS-Polizei ziehen. Viele der kleinen kommunalen Stationen verschwanden aber in den Jahren 1957 bis 1962, so auch die in Gunzenhausen. Die Landpolizei rückte nach und formierte sich per Gesetz zur Landespolizei.
Neueste Kommentare