Artenvielfalt ist kein isoliertes Ziel
Das Thema der Biodiversität wird in letzter Zeit – auch im Zusammenhang mit dem Volksbegehren zum Schutze der Bienen – immer häufiger in der politischen Diskussion gebraucht. Häufig dabei leider auch missbraucht.
Es erscheint daher angebracht, dass eine etwas seriösere Verwendung dieses wissenschaftlich eigentlich sehr eindeutigen Begriffs erfolgt, um die Biodiversität nicht in einen völlig falschen Gesamtzusammenhang zu stellen. Das Thema ist natürlich sehr populär, aber viele verstehen es auch nur sehr eindimensional. Und das führt dann zu völlig falschen Rückschlüssen.
Was wird denn nun tatsächlich unter Biodiversität verstanden?
Gemeint ist damit die Vielfalt bzw. Anzahl aller lebenden Organismen in einem bestimmten Lebensraum (Biotop). Die Biodiversität umfasst damit auch die genetische Vielfalt innerhalb einzelner Arten.
Dabei kann die Bandbreite dieser Vielfalt z.B. bei Gefäßpflanzen zwischen 50 und weit über 5.000 Arten je 10.000 Quadratkilometer betragen.
Man unterscheidet bei dieser biologischen Vielfalt
die genetische Diversität (z.B. wichtig für Weiterentwicklung von Kulturpflanzen)
- die taxonomische Diversität (also die Zahl der Arten in einem bestimmten Lebensraum)
- die Lebensraum-Diversität (gemeint ist die Vielfalt unterschiedlicher Lebensräume) und
- die funktionale Diversität (die Vielfalt ablaufender ökologischer Prozesse).
Es ist also immer wichtig, dass man bei der Verwendung dieses Begriffs abwägt, welche Form der Biodiversität jeweils bemüht werden soll.
Und es wird häufig auch die Frage gestellt, warum denn Biodiversität oder Artenvielfalt überhaupt benötigt wird. Immer wieder wird bezweifelt, ob sich der Aufwand zum Schutz bestimmter Arten – zumal wenn sie klein oder unscheinbar sind – überhaupt lohnt.
Das Beispiel der Selektion von Wirkstoffen eines Schimmelpillzes im Jahre 1928 durch Alexander Fleming führte zur Entdeckung des Penicillin, mit dessen Hilfe später vielen an Wundinfektionen erkrankten Menschen das Leben gerettet wurde. Dieser für unsere Gesundheit so hochwertige Schimmelpilz wurde aber bis zur seiner pharmazeutischen Wirkung als Schädling heftig bekämpft.
Und alleine zwanzig der meist verwendeten Arzneimittel in den USA basieren ausschließlich auf Natursubstanzen, deren Wildpopulationen nur noch in streng geschützten Gebieten vorkommen. Ihr Umsatz in den USA beträgt jährlich mehr als 11 Mrd. Dollar. Ohne den Rückgriff auf diese in ihrem Bestand geschützte taxonomische und genetische Vielfalt, wäre die Anwendung alleine dieser Arzneimittel nicht möglich.
Die entscheidende Frage beim Wert der durch die Artenvielfalt gekennzeichnete Biodiversität liegt vor allem darin, dass wir heute nicht wissen, welche Fortschritte die Wissenschaft bei der Erforschung weiterer wichtiger Substanzen aus dem Naturhaushalt machen wird. Denkbar wäre es sogar, dass selbst an für uns Menschen manchmal so lästige Arten wie die Brennesel oder die Stechmücke eines Tages Wirkstoffe selektiert werden, die uns bei der Bekämpfung von manchem krankheitsbedingtem Leid helfen können.
Aber auch ohne solche Erfolge in der Medizin ist der Rückgriff auf die funktionale, genetische und taxonomische Diversität auch aus der Kulturpflanzen- oder Tierzuchtentwicklung, bei den vielfältigen Anwendungen der Biotechnik oder auch in der Forstwirtschaft unverzichtbar. Das Artenpotenzial der Erde ist nach mehreren Studien etwa 5 – 6 % des Bruttosozialprodukts weltweit wert.
An einem für uns sehr anschaulich sichtbaren Beispiel kann man die Bedeutung, aber auch die oftmals falsch angewendete Interpretation der Artenvielfalt recht gut nachvollziehen.
Sehen wir uns einen naturnahen Bach mit seinen Besonderheiten aus Gewässerwindungen und begleitender Vegetation einmal an und vergleichen ihn mit einem Bach gleicher Größendimension, der aber unnatürlich verändert wurde (begradigt, Uferbewuchs entfernt, Sohle befestigt etc). Dann treten nämlich erhebliche Unterschiede in der Artenvielfalt auf.
Ein paar Beispiele dazu:
Ein begradigter Bach kann eine bis zu vierfach höhere Fließgeschwindigkeit aufweisen, in ihm halten sich dann bestimmte Kleinorganismen nicht mehr fest, da ihnen vor allem auch die Gewässerstrukturen dazu fehlen. Diese Kleinorganismen sind aber u.a. Grundlage der Fischnahrung.
Andere Arten aber, die mit diesen Fließgeschwindigkeiten zurechtkommen, wandern zu und gewinnen Oberhand. Sie ersetzen aber nur selten den verloren gegangenen Kreislauf der abgewanderten Arten.
Ein Aufstauen fließender Gewässer behindert nicht nur den Fischaufstieg – bei fehlenden Fischtreppen – sondern unterbindet auch den natürlichen Rückflug ausgeschlüpfter Eintagsfliegen, die nach diesem Schlüpfen immer stromaufwärts fliegen, um dort erneut Eier ablegen zu können. Dieser Flug wird durch die von den Stauhaltungen herrührenden Fließgeschwindigkeits-Reduzierungen aber unterbrochen. Sie gehen bereits dann zur Eiablage vorzeitig auf das Wasser, mit der Folge des Verarmens der Gewässer oberhalb der Stauhaltungen. Dort fehlen sie dann wiederum als natürliche Fischnahrung. An ihre Stelle rücken nun andere flugfähige Arten, die aber nicht die gleiche Bedeutung als Fischnahrung aufweisen.
Ein Entnehmen von Laub abwerfenden und Schatten spendenden Ufergehölzen stellt schließlich der Super-Gau am Gewässer dar. Je nach Gewässer-Tiefe und –Breite kann der Temperaturanstieg im Wasser dann bis fast an 1,5 bis 2 Grad Celsius im Durchschnitt heranreichen. Bei der Erderwärmung um etwa 2 Grad wissen wir bereits um die dramatischen Folgen. Im Fließgewässer sind die Auswirkungen ähnlich fatal. Die Gewässererwärmung führt dann zu einer Überpopulation an wärmeliebenden Kleinorganismen, die aber nur einen zu vernachlässigenden Einfluss auf die natürliche Gewässerreinigung aufweisen
Diese drei Beispiele sollen nur deutlich machen, was denn passieren kann, wenn bestimmte Eingriffe in den Naturhaushalt vorgenommen werden. Denn dies hat nun unmittelbar etwas mit Artenvielfalt bzw. Biodiversität zu tun.
Jeder dieser Eingriffe führt zu einem Verschwinden einiger natürlich vorkommender Arten, aber er verursacht auch ein Zuwandern anderer, auf diese neuen Rahmenbedingungen eingestellten Arten. In den meisten Fällen sind dies deutlich mehr Arten, als im vorhergehenden natürlichen Zustand.
Wir haben also plötzlich ein Ökosystem mit einer deutlich höheren Artenzahl! Aber das ist kein erstrebenswertes Ziel an sich. Denn nun kann z. B. in einem solchen „artenreicheren“ Gewässer die Selbstreinigungsleistung nicht mehr oder nur eingeschränkt erfolgen. Das bedeutet dann höhere Klärleistungen in unseren entsprechenden Klärsystemen.
Artenerhöhung an sich ist daher auf keinen Fall ein erstrebenswertes Ziel!!!!
Es geht wie häufig nicht um Quantität, sondern ausschließlich um Qualität.Es muss daher immer nur die jeweilige natürliche Artenvielfalt als Ziel angestrebt werden. Dies kann dann sehr wohl auch ein sehr artenarmes Ökosystem wie ein Hochmoor oder ein oligotropher See sein. Denn durch spezielle Eingriffe kann auch dort die Artenvielfalt geradezu explodieren. Aber beide – das Hochmoor und der nährstoffarme See – wären als natürlicher Lebensraum zerstört!
DIETER POPP, Regionalberater (Haundorf)
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