Lager für die Entwurzelten (DP)

Dr. Maximilian Ettle: Die Lager für Displaced Persons in Eichstätt

Für ehemalige Zwangsarbeiter, Häftlinge von Konzentrationslagern und Kriegsgefangene, die sich 1945 auf deutschem Boden aufhielten, gilt ein Kürzel: DP`s (Displaced Persons). Zunächst waren es geschätzte elf Millionen, später halbierte sich die Zahl, weil an die sechs Millionen Menschen in ihre jeweiligen Heimatländer „repatriiert“ (zurückgeführt) werden konnten. Eines der Lager war in Eichstätt. Es bestand bis 1949. Dr. Maximilian Ettle widmet sich im Sammelblatt 2016 des Historischen Vereins Eichstätt dem Schicksal dieser Menschen (zu einem Teil waren sie Juden), speziell aber auch mit dem Blick auf die regionalen Verhältnisse.

Gegen die Zwangsrepatriierung in den Machtbereich der Sowjetunion wehrten sich die Betroffenen so lange bis eine UN-Resolution für sie  das Freiwilligkeitsprinzip erklärte. Unter den in Deutschland verbliebenen DP`s waren an die 50000 Juden. Die Alliierten sind mit ihnen nicht gerade glimpflich umgegangen, was eigentlich verwundern muss angesichts der schlimmen Dinge, die sie in Konzentrationslagern und anderen Einrichtungen hatten erleben müssen. „Das ist bis heute ein dunkler Punkt in der ansonsten positiven humanitären Bilanz, urteilt Autor Dr. Maximilian Ettle. Die ordentlichen, disziplinierten und höflichen Deutschen erschienen ihnen weitaus sympathischer als die verelendeten, renitenten und misstrauischen Opfer. Das beweist eine Aussage des US-Generals George S. Patton, der die jüdischen Flüchtlinge für „Untermenschen“ hielt und sich damit der Nazi-Terminologie bediente.  Für ihn waren sie ein menschliches Wesen,  „die niedriger als Tiere sind“. Er ließ die Lager mit Stacheldraht umzäunen, „damit sie das Land nicht wie Heuschrecken über ziehen und Deutsche ausrauben oder gar ermorden“. In den meist überbelegten Lagern herrschten untragbare hygienische Zustände, die Juden mussten sogar KZ-Kleidung tragen, ja sogar abgetragene SS-Uniformen. Häufig mussten sie mit früheren Verfolgern und Unterdrückern zusammen sein, beispielsweise mit dem Ukrainer Ivan Demjanjuk, der 1991 verurteilt wurde. Der amerikanische Jurist Earl G. Harrison untersuchte auf Anordnung der US-Regierung die Verhältnisse und schrieb zurück: „So wie es jetzt aussieht, stellt sich heraus, dass wir die Juden genauso behandeln wie die Nazis, nur, dass wir sie nicht ausrotten.“ In den Vereinigten Staaten wurde indes soviel Ehrlichkeit bestürzt aufgenommen. Der General wurde abgelöst.

Allein in der amerikanischen Besatzungszone, also im wesentlichen in Bayern, Hessen und östlichen teilen Württembergs, lebten im Sommer 1947 mehr als 180000 Juden in 70 Lagern. Die allermeisten von ihnen stammten aus Polen. Dort gab es übrigens in den ersten Nachkriegsjahren Judenverfolgungen mit etwa 1500 Ermordungen. In unserem östlichen Nachbarland wurde dieses Faktum gesellschaftlich tabuisiert, in kommunistischer Zeit durfte darüber gar nicht berichtet werden.  Das Parlament drohte jenen mit bis zu drei Jahren Haft, die öffentlich die polnische Nation der Teilnahme, Organisation oder Verantwortung für kommunistische oder nationalsozialistische Verbrechen bezichtigte. Antisemitische Übergriffe gab es zu jener Zeit aber auch in Rumänien, Ungarn, Tschechoslowakei, Ukraine und Jugoslawien.

Der polnisch-amerikanische Historiker Jan T. Gross  sollte die Vorkommnisse untersuchen, wurde aber von den Nationalpolen und auch von katholischen Kirchenvertretern massiv angefeindet. „Er rüttelt am Opfermythos und zerstört das Bild von den Polen als edle Widerstandskämpfer“, schreibt Ettle.  Die Angst der Polen in der Nachkriegszeit bestand darin, es könnten Eigentumsrückforderungen oder Entschädigungsansprüche der vormals jüdischen Besitzer  bezüglich der Immobilen und sonstigen Werte kommen, die sich inzwischen die polnische Bevölkerung angeeignet hatte.  Wie der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz feststellt, mochten die Polen traditionell die Juden nicht. Noch 1946 wurden beispielsweise bei einem Pogrom in Kielce 42 Holocaustüberlebende getötet und 80 schwer verletzt.

Ettle schildert mit seinen Worten die Befindlichkeit der Deutschen unmittelbar nach dem Krieg: „Nazi-Greuel wurden gegen den Bombenterror der Alliierten aufgerechnet, die deutschen Verbrechen  somit abgegolten“.  Den Film „Die Todesmühlen“  (mit schockierenden Aufnahmen aus Konzentrationslagern) sollten sich damals auch die Eichstätter ansehen, aber die meisten weigerten sich, erst als der Kinobesuch angeordnet wurde, da sahen ihn sich 3462 Leute an. Die dreiste Reaktion einer Frau: „ Ich werde gezwungen, den Film anzuschauen, und das soll Demokratie sein.“  Von einem anderen ist überliefert: „Bei Bombenangriffen habe ich Schlimmeres gesehen.“ Die amerikanische Militärbehörde ließ verlauten: „Den Deutschen mangelt es an der Einsicht ihrer Verantwortung für die Taten der Nazis; und ein Widerwille, irgendeine Kriegsschuld auf sich zu nehmen, ist von allen Seiten  offensichtlich.“

In Eichstätt wurden von den Amerikanern im April 1945 die Jägerkaserne, die ehemalige Standortverwaltung und die ehemalige Landwirtschaftsschule als Lager für DG`s eingerichtet. 1500 bis 2000 Menschen lebten dort unter der Aufsicht von UNRRA und IRO-Kommandanten, also Soldaten, die im UN-Auftrag handelten. Es waren in erster Linie Osteuropäer (Letten, Ukrainer und Polen), später auch 1300 Nationaltschechen. Aus Bamberg kamen im November 1945 an die 500 jüdische Menschen nach Eichstätt, im Juni 1947 waren es rund 1400. Sie führten dort ein von den anderen Volksgruppen isoliertes Leben, genossen aber  Bildung und waren  sogar bei örtlichen Handwerkern tätig. Ettle skizziert am Beispiel etlicher Juden das Lagerleben und illustriert die Beiträge mit etlichen Fotos.

Weitere Beiträge im Jahrbuch: „Eichstätt und Altmühltal – Zauberhafte Filmkulisse vn Josef Ettle; „Ein vogtländischer Freiherr an der Altmühl“ von Dr. Konrad Tyrakowski;  „Vituosität in Stein aus dem Jahr 1617 – ein Ädikularetabel der Spätrenaissance zu Kipfenberg; „Koppelzell oder Hetzelshof“ von Konrad Kögler.

Werner Falk

Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt 2016, 108. Jahrgang, ISSN 0936-5869. Das Jahrbuch über den Historischen Verein (E-Mail: info@histver.de) zu beziehen.

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Die Beiträge kommen vom Herausgeber und von Gastautoren. Im Mittelpunkt stehen kommunalpolitische und gesellschaftspolitische Themen. In meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins für Heimatkunde Gunzenhausen ist es mir wichtig, historische Beiträge zu veröffentlichen.

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