Hitler als Häftling in Landsberg

Vortrag von Prof. Dr. Peter Fleischmann vor Mitgliedern des Historischen Vereins für Mittelfranken

Auch im Leben eines Archivars, der sich klischeehaft mit verstaubten Akten herumschlägt, gibt es aufregende Momente. Dr. Peter Fleischmann, der heutige Chef des Staatsarchivs Nürnberg, kann das bezeugen. Er war zuvor in gleicher Funktion beim Staatsarchiv München. Dort bekam der gebürtige Nürnberger mit, dass die Gefangenenakte Adolf Hitlers, die lang als verschollen galt, auf dem Flohmarkt gefunden und in einem Fürther Auktionshaus für 25000 Euro versteigert werden sollte. Dem Historiker gelang es in letzter Minute, die Akten als „Kulturgutschutz“ für die Allgemeinheit zu sichern. So konnten sie nicht ins Ausland transferiert werden. Hitlerbuch Schmidtverlag
Vier Jahre hat Dr. Fleischmann am Thema „Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24“ geforscht und im letzten Jahr unter diesem Titel eine kommentierte Edition der Haftpapiere herausgebracht. Er beschreibt eingehend die nationalsozialistische Szene in den zwanziger Jahren. Vor Mitgliedern des Historischen Vereins für Mittelfranken referierte er kürzlich über den Häftling Adolf Hitler.
Ausgangspunkt der einjährigen Haft war der gescheiterte Putschversuch vom 8./9. November 1923 im Münchner Bürgerbräukeller – übrigens der fünfte Jahrestag des Weltkriegsendes. Niederschlagen ließ ihn der bayerische Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr, übrigens ein gebürtiger Weißenburger. 15 Putschisten wurden damals getötet, aber Hitler hatte Glück, wie noch so manches Mal in seinem Leben, indem er lediglich den Arm auskugelte. Der Festnahme konnte er sich dennoch nicht entziehen: am 11. November wurde er in der Wohnung seines Freundes Ernst („Putzi“) von Hanfstaengl am Staffelsee verhaftet und in die Schutzhaftanstalt Landsberg eingeliefert.
Der Gefängnispsychologe stufte den prominenten Häftling als „krankhaften Psychopaten mit einem Hang zu magisch-mystischer Denkweise“ ein und Amtsarzt Dr. Joseph Bringstern diagnostizierte bei ihm einen „rechtsseitigen Kryptorchismus“, im Volksmund „Schlupfhoden“ genannt. Die Anomalie, also der im Hodensack fehlende zweite Hoden, mag zu Hitlers gestörtem Verhältnis zur Sexualität beigetragen haben.

Autor Dr. Peter Fleischmann

Autor Dr. Peter Fleischmann. Foto: BR

Wissenschafter Fleischmann hat alle 330 Sprechkarten gesichtet und dabei festgestellt, dass zu den Besuchern des 35-jährigen Hitlers prominente Persönlichkeiten zählten, darunter SA-Chef Ernst Röhm, Generalstabschef Erich Ludendorff und der Nürnberger Gauleiter Julius Streicher, der sogar ohne Aufsicht mit Hitler reden durfte. Um den Gefangenen kümmerten sich auch Helene Bechstein, die Frau des bekannten Klavierbaufabrikanten, und die Festspiel-Wagners aus Bayreuth. Akribisch notiert wurde auch der Besuch der Halbschwester Hitlers und deren Tochter Angela Raubal. Aus Mittelfranken kamen u.a. Theodor Doerfler (Ansbacher Richter), Dr. Walter von Wendland (Arzt), Dr. Isidor Königsdörfer (Eichstätt), der Arzt und Vizepräsident der bayerischen Landesärztekammer Dr. Gustav Sondermann aus Emskirchen, der Postbeamte Konrad Ziegler aus Hersbruck, die Nürnberger Marie Gareis (Korrespondentin), Hans Dörfler, Wilhelm Gebhardt (Pfarrer), Karl Holz (stellvertretender Gauleiter Franken), Anton Ritter von Bolz, Hans Linnert, Dr. Fritz Hülf (Mitherausgeber des „Stürmers“), Dr. Fritz Weiß, Georg Wiesenbach (MdL), der Scheinfelder Wilhelm Holzwarth und der Weißenburger Kaufmann Robert Laubmann. Die meisten der 330 Besuchern (80 Prozent) kamen aus Bayern, darunter 21 aus Mittelfranken (6,4 Prozent).

Hitler genoss nach einer mehrtätigten „Schutzhaft“ (der Staat sollte vor politisch unzuverlässigen Kräften geschützt werden) in der „Festungshaft“ Privilegien, wie sonst keiner. Sogar Gefängnisdirektor Otto Leybold empfand Sympathien für den „national hochgesinnten Mann“. Er ließ die nationalsozialistischen Freunde schalten und walten. Hitler schrieb in Landsberg den ersten Teil seines Buches „Mein Kampf“, das der Verleger Adolf Müller herausgab, der zeitweise Besitzer von Burg Hoheneck (bei Bad Windsheim) war. In Landsberg, das 1910 als modernstes Gefängnis Bayern erbaut worden war, saß übrigens auch Graf von Arco-Valley ein, der Mörder des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner.

WERNER FALK
Das Buch von Dr. Peter Fleischmann („Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24“) ist im  Verlag Ph.C.W. Schmidt, Neustadt/Aisch erschienen. Es hat 552 Seiten und kostet 59 Euro (ISBN 978-3-87707-978-2).

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