Sein Buch „Wohlstand für alle“ enthält zeitlose Botschaften
„Ein bürokratisch manipuliertes Europa, das mehr gegenseitiges Misstrauen als Gemeinsamkeit atmet und in seiner ganzen Anlage materialistisch anmutet, bringt für Europa mehr Gefahren als Nutzen mit sich.“
Das hat schon Ludwig Erhard, der Vater des deutschen Wirtschaftswunders, in den frühen sechziger Jahren befürchtet. Dabei war er beileibe kein Eurokritiker, sondern ein ausgewiesener europäischer Marktwirtschaftler. Seine „Soziale Marktwirtschaft“ war das Erfolgsrezept schlechthin. Aus heutiger Sicht ist es reizvoll, Erhards publizistisches Vermächtnis („Wohlstand für alle“), das 1957 das erste Mal erschienen ist und 1964 von ihm ein letztes Mal modifiziert wurde.
Schauen wir auf die Europapolitik: „Niemand kann glauben wollen, dass es möglich ist, in allen Ländern quer durch alle Industriezweige einen gleichen Produktivitätssstandard zu setzen.“ Erhard schrieb damals, eine solche Forderung beruhe auf einer völlig illusionären Verkennung ökonomischer Gesetze. Diese Geisteshaltung dürfe sich in einem integrierten Europa „unter keinen Umstanden durchsetzen, wenn nicht menschliche Initiative und schöpferische Kraft, ja das Leben selbst, erstickt werden sollen“. Es sei eine Illusion und ein Wahn zu glauben, man könne die natürlichen Gegebenheiten korrigieren und die strukturellen Bedingungen von Land zu Land mit künstlichen Mitteln so weit ausgleichen, dass jedes Land mit gleichen Kosten arbeiten könne. Der Kanzler von 1966-1969 (CDU-CSU/FDP-Koalition) erblickte darin schon damals eine „Harmonisierungstheorie“, die der Frage ausweiche, wer die Opfer bringen soll. Seine Befürchtung: Dieser Wahn müsse zu Fonds („Töpfchen“) führen, aus denen alle diejenigen Ländern entschädigt oder hochgepäppelt werden müssen, die im Nachteil sind oder es zu sein glauben. Sein klares Wort: „Das sind Prinzipien, die mit einer Marktwirtschaft nicht in Einklang stehen. Hier wird nicht die Leistung prämiert, sondern das Gegenteil getan, es wird der Leistungsschwächere subventioniert.“ Diese „Sozialromantik“ nannte Erhard „sehr gefährlich“.
In seinem Standardwerk sagt der aus Fürth stammende Politiker, die Währungsstabilität gehöre in die Reihe der menschlichen Grundrechte aufgenommen. Und zu den „unantastbaren Grundrechten“ zählte er auch die Konsumfreiheit und die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung. „Demokratie und freie Wirtschaft gehören logisch ebenso zusammen wie Diktatur und Staatswirtschaft.“
Der Wirtschaftsminister von 1957-1963 unter Kanzler Konrad Adenauer, der zuvor schon im Frankfurter Wirtschaftsrat die Grundlagen der Marktwirtschaft legte, hatte immer eines im Sinn: Mit der Marktwirtschaft nicht nur einzelne Schichten zu begünstigen, sondern „der Masse unseres Volkes durch höchste Anstrengung und immer mehr gesteigerte Leistung einen würdigen Lebensstandard zu sichern und diesen fortlaufend zu bessern.“ Seine bildhafte Sprache: „Ebenso wie der Schiedsrichter beim Fußballspiel nicht mitspielen darf, darf auch der Staat nicht mitspielen.“ Der Fußball und auch die Marktwirtschaft folgten bestimmten Regeln, die von vornherein feststünden. Wie es unfair sei, wenn sich eine Mannschaft mit elf Mann vor der Tor stelle, so dürfe keine Macht die Freiheit des wirtschaftlichen Wettbewerbs unterdrücken.
Erhard hat übrigens den Begriff des „deutschen Wirtschaftswunders“ nicht gelten lassen. Die erste neun Aufbaujahre nach dem Krieg nannte er „die Konsequenz der ehrlichen Anstrengung eines ganzen Volkes, das nach freiheitlichen Prinzipien die Möglichkeit eingeräumt erhalten hat, menschliche Energien anwenden zu dürfen“. Er wollte „aller Welt den Segen der menschlichen Freiheit und der ökonomischen Freizügigkeit deutlich machen“.
Und zur Rolle der Unternehmer äußerte er sich deutlich: „Wenn eine Ordnung gesetzt wird, die nicht mehr die Kraft, die Phantasie, den Witz, die Tüchtigkeit und den Gestaltungswillen der individuellen Persönlichkeit erfordert, wenn der Tüchtigere nicht mehr über den weniger Tüchtigen obsiegen kann und obsiegen darf, dann wird auch die freie Unternehmenswirtschaft nicht mehr lange Bestand haben.“
Die Befindlichkeiten der Deutschen kannte er bestens. Er nannte es eine Charakterschwäche des deutschen Volkes, dass es das Gefühl für die Realitäten des Lebens relativ schnell verlieren. Dem hält er die „bewundernswertesten Tugenden“ entgegen, die es in der Not der unmittelbaren Nachkriegsjahre gegeben hat. „Der Neid ist der Komplex, der sie plagt“, sagte Erhard und schrieb: „Der Deutsche ist offenbar so geartet, dass er es nicht ertragen kann, wenn es einem anderen, dem Nachbarn oder dem Freund, noch besser geht. Dann ist er neidisch und unzufrieden. Diese Maßlosigkeit stellt für unser Land eine besondere Gefahr dar.“
Die um sich greifende Kollektivierung der Lebensplanung kritisierte Erhard bereits 1964. „Kümmere du, Staat, dich nicht um meine Angelegenheiten, sondern gib mir so viel Freiheit und lass mir von dem Ertrag meiner Arbeit so viel, dass ich meine Existenz, mein Schicksal und dasjenige meiner Familie selbst zu gestalten in der Lage bin“, war seine Position. Er erkannte früh die Folgen eines gefährlichen Wegs hin zum Versorgungsstaat, an dessen Ende der soziale Untertan stehe.
Es lohnt sich, Erhards „Wohlstand für alle“ auch heute noch zu lesen (Anaconda-Verlag Köln, ISBN 978-3-86647-344-7)
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