Betrachtung der weltpolitischen Lage
Der Auftritt des amerikanischen Vizepräsidenten James David („JD“) Vance hat alle Befürchtungen der Europäer bestätigt: „Amerika first!“ ist die Parole der neuen US-Regierung unter Donald Trump. Seine Politik gleicht einer Dampfwalze, die rücksichtslos in Gang gesetzt wird. Verständigung mit Partnern – das war einmal, heute phantasiert er über die neue Weltordnung. Die Nato-Partner werden brüskiert und es wird ihnen signalisiert, dass man von US-Seite aus kein Interesse mehr an einer gemeinsamen Strategie hat.

Diese Entwicklung ist nun schneller gekommen als die meisten Menschen in Europa nach der US-Wahl gedacht haben. Die Rede von JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz war ein gewaltiger Einschnitt in das bisher gut funktionierende westliche Bündnis, eigentlich schon eine Zäsur. Sie hat allen die Augen geöffnet. Die uns täglich aus Washington erreichenden Nachrichten zerstören die bisherige politische Struktur in Europa. Das Agieren von Trump und Vance ist die Abkehr von einem Miteinander der politischen Kräfte des Westens. Darauf hatten wir stets vertraut. Die Politik von Trump sagt uns ganz einfach: Gut ist, was Amerika nützt! Es soll Vorteile geben für die amerikanische Seite – ohne Rücksicht auf die Partnerländer. Zu diesem Zweck werden Deals angeboten, die aber keine gerechten Geschäfte sind.
Selbst bisherige Partner schauen in die Röhre. Ein erster Beleg dafür ist die Ukraine-Politik von Trump, die sich gar nichts schert und bisherige internationale Vereinbarungen. Der US-Präsident will mit der Ukraine buchstäblich kurzen Prozess machen. Er hat nicht das Selbstbestimmungsrecht des von Russland überfallenen Landes im Sinn, sondern nur sein Interesse an einer wirtschaftlichen Ausbeutung des rohstoffreichen Landes. Die Nachkriegsordnung kümmert Trump nicht, wenn er erst einmal mit Putin das Land aufgeteilt hat. Sie überlässt er großzügigerweise den anderen Nato-Ländern, die in der Summe bisher mehr für die Ukraine getan haben als die USA.
Was soll angesichts der neuen Lage aus Europa werden? Antworten darauf fallen augenblicklich schwer. Wird es das Nato-Bündnis in einem Jahr überhaupt noch geben? Kann oder muss sich Europa zu einem neuen Verteidigungsbündnis ohne die USA durchringen? Fragen über Fragen tun sich auf.
In der wirtschaftlichen Zusammenarbeit stehen die Signale ebenfalls auf Sturm. Die Ankündigung Trumps, hohe Zölle einführen zu wollen, künden davon, dass er von der europäischen Wirtschaftsordnung (und der Mehrwertsteuer) nichts hält. Es offenbart sich das totale Abhängigkeitsverhältnis Europas von den USA. Eine schnelle Kurskorrektur der europäischen Staaten als Antwort auf die Trump-Forderungen ist aktuell gar nicht vorstellbar. Wie also kann die Zukunft aussehen? Trump will, dass mehr in den Vereinigten Staaten produziert wird – zum Leidwesen der europäischen Wirtschaft. Es ist momentan verwegen, in Europa über eine neue Strategie (möglicherweise unter Einbeziehung von China) nachzudenken. Die chinesischen Führer laden zwar dazu ein, aber kommt Europa damit nicht vom Regen in die Traufe? Die aktuelle Handelsbilanz sagt alles. Der Import von chinesischen Produkten ist ohnehin schon groß genug.
Müssen die Europäer mit den Trump-Alleingängen leben? Eigentlich sind die Vereinigten Staaten demokratisch verfasst, ja sie waren für Deutschland immer ein Vorbild in Sachen Demokratie. Nun aber müssen wir erkennen, dass sich dort die Demokratie als Auslaufwerk („lahme Ente“) präsentiert. Man fragt sich: Wo bleiben die demokratischen Kräfte? Gibt es den Senat und das Repräsentantenhaus als „demokratische Instrumente“ noch? Fast könnte man aufgrund der Berichterstattung aus den Vereinigten Staaten annehmen, sie hätten sich aufgelöst. Was ist mit den oppositionellen Kräften? Was macht die Justiz? Wo bleibt die demokratische Ordnung in der „größten Demokratie der Welt“, wie uns seit Jahr und Tag als Vorbild suggeriert wird ?
Es sind aufregende Zeiten, die vor uns stehen. Aber zunächst sind wir Deutsche gefragt, wie wir es mit unserer Demokratie halten. Ich will die Wähler der AfD nicht verteufeln. Sie sind die Summe einer großen Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit den politischen Verhältnissen in Deutschland. Die AfD hat zweifellos einen Kern von Neo-Nationalsozialisten, aber die meisten ihrer Wähler sind klassische Protestwähler. Etliche Forderungen der AfD sind von der Sache her berechtigt, aber andere wiederum wollen eine andere politische Ordnung, eine Abkehr von demokratischen Strukturen, ein anderes Deutschland. Allein ihre Forderung, sich aus der Europäischen Union und deren umfassendem Netzwerk zu lösen, den Euro aufzugeben und zu einer nationalen Politik zurückzukehren, ist für unser Land katastrophal. Die Folgen einer solchen Politik würden am ersten am stärksten jene Mitbürger treffen, die heute am meisten von Europa profitieren. Nur: über Selbstverständlichkeiten wie die Reisefreiheit in Europa macht sich heute keiner mehr Gedanken. Und die jungen Männer? Wollen sie zum Wehrdienst, den die AfD für sie bereithält? Wohl kaum.
Das im Grundgesetz verankerte individuelle Asylrecht gilt immer noch! Es betrifft jene Menschen, die in ihren Heimatländern in Bedrängnis geraten sind und sich vor Gefahren schützen wollen. Aber wir müssen nach vielen Jahren einer wohl nicht von allen richtig verstandenen Willkommenskultur erkennen, dass nicht alle Flüchtlinge, die zu uns kommen, „guten Willens“ sind. Das verrät die gestiegene Kriminalitätsrate vorzugsweise in den Ballungsräumen. Es hätte längst die Ansage gelten müssen: Straftäter haben kein Bleiberecht! Ausländer, die nachweislich ein Recht auf Asyl haben, müssen wir aufnehmen und ihnen eine Chance geben. Schneller als bisher sollten wir sie nach individueller Prüfung in unsere Gesellschaft (und unseren Arbeitsmarkt) aufnehmen. Viele Firmen in Deutschland, auch und gerade kleine Handwerksbetriebe, könnten heute nicht mehr ohne die Zuwanderer existieren.
Es macht mich aber zornig, wen ich höre und lese, dass Familien, die sich in vielen Jahren in Deutschland integriert haben, deren Kinder in unseren Schulen beste Leistungen zeigen und die ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst bestreiten, von einem Tag auf den anderen abgeschoben werden sollen. Es verwundert mich, dass Ausländerbehörden, die oft jahrelang die Zustände offenbar untätig hingenommen haben, plötzlich so aktiv sein können.
Jeder Wähler in Deutschland muss abwägen, ob sein Protest mit dem Stimmzettel die gewünschte Änderung bringt. Im Blick haben sollten wir immer die Regierbarkeit des Landes. Die war bisher immer gegeben, auch wenn die letzte Bundesregierung vorzeitig aufgegeben hat. In der Bundesrepublik sind wir in den letzten siebzig Jahren mit den „etablierten Parteien“ ganz gut gefahren. Aber was bringt es dem Wähler, wenn es diese verlässliche Ordnung nicht mehr gibt? Die Erfahrung zeigt, dass stabile Verhältnisse mit politischen Randgruppen schwer zu erreichen sind, vor allem, wenn sie eine Größe erreichen, die den politischen Konsens unmöglich machen.
Nach der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar, also in ein paar Tagen, wissen wir mehr. Ich wünsche unserem neuen Bundestag – uns somit unserem ganzen Land – eine stabile politische Basis, die es ermöglicht, eine Regierung zu bilden, die den Erfordernissen der Zeit Rechnung trägt. Wir haben in den letzten drei Jahren erkennen müssen, dass in den Grundzügen ganz unterschiedliche Partner nicht beständig und gut regieren können. Das sollte uns ein weiteres Mal erspart bleiben.
WERNER FALK
Neueste Kommentare