Andreas Osiander hat die haltlosen Beschuldigungen widerlegt
Es war damals so und es ist auch heute noch so: die Juden werden von ihren Gegnern bewusst und in Verkennung der objektiven Erkenntnisse der schlimmsten Dinge verdächtigt. Früher waren es die Christen, die den Juden nachstellten, heute sind es ihre islamischen Feinde. Im Mittelalter hatten sie sich Vorwürfen ihrer Gegner zu erwehren, sie wären Kindermörder. Kein Geringerer als Andreas Osiander, der 1496 in Gunzenhausen geborene Reformator und Weggefährte Martin Luthers, hat im 16. Jahrhundert die Vorwürfe der Christen widerlegt, sie hätten Ritualmorde an Kindern verübt. Und doch hält sich die Ritualmordlegende bis in die heutigen Tage.
Wie der Nürnberger Historiker Dr. Bernhard Schneider („Sind Juden Kindermörder?“) in der aktuellen Ausgabe der „Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte“ betont, war es im 12. Jahrhundert gängige Methode, die religiöse Minderheit zu diffamieren. Der Vorwurf, sie würden zu rituellen Zwecken Kinder töten, war verbreitet. Der katholische Theologe Johannes Eck von der Universität galt zwar als ausgemachter Gegner Martin Luthers, aber in der Judenfrage lagen beide nicht weit auseinander. Autor Bernhard Schneider bezieht sich auf ein Gutachten eines unbekannten Verfassers, das Eck zu bewerten hatte. Hintergrund: 1540 wurde in Sappenfeld bei Eichstätt die Leiche eines vierjährigen Buben gefunden, dessen Verletzungen zunächst auf einen Ritualmord zweier Tittinger Juden hindeuteten. Die wurden später aber freigesprochen. Eck lässt in dem Schriftstück seinem Judenhass freien Lauf und äußert den Verdacht, dass der Verfasser des Gutachtens ein Christ namens „Hosander“ gewesen sein könnte. Dieser Name deutet auf Andreas Osiander hin, der zu jener Zeit Prediger in St. Lorenz in Nürnberg war.
Pfarrer Dr. Schneider verweist auch auf einen Ritualmord in Bösig, einem Dorf bei Preßburg (heute: Bratislava/Tschechien), wo nach dem Fund eines toten Knaben 30 Juden öffentlicht verbrannt wurden. Der Fall wurde damals durch ein Flugblatt bekannt, das eine weibliche Gestalt hohen Standes dem Reformator Osiander übergab. Dieser glaubte, aufgrund seiner Erfahrungen und seines Wissens imstande zu sein, dem Fall auf den Grund zu gehen. Osiander erklärte, es sei „mit Juden verwonet“ (sinngemäß übersetzt: gutes Verhältnis), was sagen könnte, er sei mit Judenkindern in Gunzenhausen aufgewachsen. Schließlich war Osiander in der heutigen Rathausstraße, also unweit des früheren Judenviertels, geboren worden. Zudem war er ein Kenner der hebräischen Sprache. Als unsinniges Gerede galt für ihn die Verdächtigung, jüdische Männer litten an Blutfluss als Strafe Gottes, der nur durch Christenblut heilbar sei. Er kritisierte die erpressten Geständnisse durch Folter und er bestritt das Recht der Fürsten und Grafen, ohne Erlaubnis des Kaisers Ritualmordprozesse durchzuführen. Als Indiz für die Unrechtmäßigkeit des obrigkeitsstaatlichen Handelns erkannte er die Schnelligkeit der Verfahren von acht Tagen von der Verhaftung bis zur Hinrichtung. Im Bösinger Fall war sich Osiander sicher: Das Kind war nach Zeugenaussagen durch Schläge auf den Kopf getötet worden, aber die des Schächtens kundigen Juden wussten, dass man einem toten Körper kein Blut entziehen kann. Damit erntete Osiander aber gehörigen Widerspruch, ja Hass. Sie schimpften ihn einen Ketzer und erboten sich, das Geld für das Holz des Scheiterhaufens zu bezahlen, auf dem er verbrannt werden sollte.
Im Rausch seiner Hassgefühle gegen die Juden brachte Johannes Eck allerhand Storys unter die Menschen, die an den Haaren herbeigezogen waren. Eine Lügengeschichte lautet so: „Manchem jüdischen Knaben sind bei der Geburt zwei Finger an der Stirn festgewachsen, die sich mit dem Blut christlicher Kinder lösen lassen“. Die von ihm in den Umlauf gebrachten Geschichten waren später für den NS-Agitator Julius Streicher willkommene Schützenhilfe in seinem widerlichen und verächtlichen Vorgehen gegen die Juden. Eine Hasstirade von ihm besagte, das Blut jüdischer Männer würde getrocknet und als Pulver verkauft.
Osiander war, so stellt Bernhard Schneider fest, der Erste auf christlicher Seite, der gegen die Blutbeschuldigung der Juden öffentlich aufgetreten ist. Und Max Levite, der letzte Lehrer der jüdischen Schule in Gunzenhausen, der 1942 im KZ Theresienstadt den Tod fand, urteilte über Andreas Osiander: „Sein Name wird bei den Juden Bayern in ehrender Erinnerung bleiben“.
Der Beitrag von Dr. Bernhard Schneider, Ruhestandspfarrer in Nürnberg, ist in der „Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschiche“, 91. Jahrgang 2022 (466 Seiten) enthalten, die soeben erscheinen ist und im Buchhandel für 30 Euro angeboten wird. Das Buch enthält 18 kirchengeschichtliche Beiträge.
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