Gaststätten noch und noch

472 Seiten stark ist Hiemeyers neuestes Werk

Es ist die akribische Forschungsarbeit über einen Zeitraum von zehn Jahren, die jetzt ihren Abschluss fand: Lothar Hiemeyer hat die Geschichte der Bierschänken, Gastwirtschaften, Gasthöfe und Herbergen in Gunzenhausen von 1500 bis 1945 dokumentiert. Das 472 Seiten umfassende Werk gibt es jetzt im Buchhandel. Bereits im Frühjahr ist seine nicht minder umfangreiche Dokumentation über die Gunzenhäuser Brauereien, Felsenkeller und Mälzereien erschienen.

Der Autor ist in der Schillerstraße geboren und ging 1952 beim Baustoffunternehmen Huber & Riedel in die kaufmännische Lehre, wechselte von 1960 bis 1966 zum Haniel-Handelskonzern in München. Er qualifizierte sich als Betriebswirt und kehrte 1966 zu H&R zurück. Bis 1982 war er in Würzburg tätig. Das Unternehmen wandelte sich vom reinen Baustoffwerk zum Bausstoffhandel. Von 1983 bis zum Ruhestand 1997 widmete er seine reiche berufliche Erfahrung dem OBI-Management in Schweinfurt.

Aus dem Jahr 1940 stammt diese Aufnahme vom Gasthaus (und Metzgerei) Karl Kirsch in der Mariusstraße (heute: Hafnermarkt). Im Vordergrund der Bauer Meier aus Frickenfelden, links das „Büllers Gässla“, der Fußweg zur Stadtkirche. Foto: Stadtarchiv Gunzenhausen

Die Liebe zu seiner Gunzenhäuser Heimat hat ihn angetrieben, deren Wirtshauskultur zu erforschen. Es ist eine Sisyphusarbeit, die sich Lothar Hiemeyer auferlegt hatte. Glücklich ist der 84-Jährige heute, dass es ihm nach dem Besuch vieler Archive und Gespräche mit den Gastwirten gelungen ist, das Werk zu vollenden. Erstaunt und dankbar ist er, dass sich bei den Hinterbliebenen noch viele schriftliche Zeugnisse fanden.  Der Verlag Ph. C. W. Schmidt in Neustadt/Aisch war ihm in technischer Hinsicht behilflich.

Einige der Gasthäuser bestehen heute noch, andere haben längst geschlossen oder werden anderweitig genutzt. Immerhin: 41 Wirtshäuser hat es nach dem Zweiten Weltkrieg noch gegeben. Gewaltig verändert hat sich das gesellschaftliche Umfeld – und zwar bis hinein in unsere Tage mit den Auswirkungen des Ukrainekriegs und der Energiekrise auf die Gastronomie. Man mag es bedauern, aber die Stammtische gibt es nicht mehr. Nur die 1926 gegründete Stammtischgesellschaft „Unter uns“ im Gasthaus „Zur Altmühlbrücke“ ist nach der Wiedergründung 2014 noch vital.

Dass sich die Gastwirtschaften und das Beherbergungsgewerbe gut entwickeln konnten, das ist auf die strategisch gute Lage Gunzenhausen  an den beiden historischen Handelsstraßen Prag-Augsburg und Würzburg-Donau zurückzuführen. Hiemeyer hat tief gekramt und 1469 einen Hinweis in den Stadtakten gefunden, die bezeugen, dass es damals schon säumige Zecher gegeben hat. Bürger, die dem Wirt etwas schuldig geblieben waren, konnten zum Hausarrest im Wirtshaus verdonnert werden („…und nicht wieder daraus kommen, bis der Gläubiger befriedigt ist“). Die Wirte gehörten schon im Mittelalter der gehobenen Gesellschaft an und begleiteten nicht selten öffentliche Ämter (z.B. waren sie Bürgermeister und Stadträte). Das Schankrecht der Stadt von 1511 untersagte es beispielsweise den Unterwurmbachern, vor Sonnenuntergang Fuhrleute zu beherbergen. Sie hatten sich auf die einheimischen Bauern zu beschränken.

Die Getränkesteuer, die bis in die siebziger Jahre erhoben wurde, hatte eine Vorgängerin, nämlich das „Ungeld“.  Zu zahlen hatten es 1460 fünf Gastwirte und Bierbrauer. Erstaunlicherweise existierten nach dem fürchterlichen Dreißigjährigen Krieg noch 15 Gasthäuser in der Stadt, 1744 waren es schon 24 (von 214 Häusern).

Die Schankgenehmigung war noch im 19. Jahrhundert vom Wohlwollen der städtischen Verwaltung abhängig. Das musste der Schlossermeister Georg Beyer erfahren, der in der Bühringerstraße 12 (heute:  Gasthaus zum Lauterbacher) ein Wirtshaus einrichten wollte, aber keine Konzession erhielt, und zwar mit Hinweis auf Gasthäuser, die sich schon im engeren Umkreis befanden. Zudem hatte der Magistrat die Befürchtung, die avisierte Damenbedienung (also die Anstellung von Kellnerinnen)  könne zur Ignorierung der Sperrstunde führen. Die Tätigkeit der Frauen hatte in Nachbarwirtshäusern „öfter zu Streitigkeiten und Raumhändel“ geführt.

In den zwanziger Jahren, als sich die nationalsozialistische Herrschaft anbahnte, machte ein Ereignis Schlagzeilen: die Saalschlacht im Adlerbräu. Dort standen sich am 9. März 1923 Schläger der rechten und linken Szene gegenüber und demolierten das Mobiliar. In der Folge wanderten die jüdischen Mitbürger aus, so auch die Familie des jüdischen Gastwirts Simon Strauß, der von einem Fan der nationalsozialistischen Szene per Kopfschuss getötet wurde. Nach dem Krieg waren der „Fränkische Hof“ und auch die „Goldene Krone“ von den US-Besatzern beschlagnahmt – und zwar bis 1947.

Nach dem Krieg erfreuten sich die Menschen an der Revitalisierung des gesellschaftlichen Lebens. Die Wirte luden ein zu Schlachtschüssel, Karpfenpartien, Kappenabenden, Christbaumverlosungen, Schafkopfturnieren und auch die Gunzenhäuser Keller eröffneten wieder. Heute mag man sich gar nicht mehr vorzustellen, welche Vereine und Klubs damals  das gesellschaftliche Leben prägten: neben den Chören der Fortschrittsverein, die Freitagsgesellschaft „Frohsinn“, die „Gemütlichkeit“, die „Meierei“, die Concordia, die gesellschaftliche Vereinigung „Grüner Kranz“, die Kavallerie-Gruppe, der Rauchclub, der Flottenverein, die Zimmerstutzengesellschaft, der Radfahrerclub oder der Athletenclub – um nur einige zu nennen.

Der Autor hat sich eine wahnsinnige Mühe gemacht, die Geschichte der Wirtshäuser darzustellen. Er stellt sie im Einzelnen anhand vieler Dokumente (Zeitungsanzeigen, Bilder) vor. Nicht nur die Eigentumsverhältnisse listet er chronologisch auf, er stellt auch die Bedeutung der Gastwirtschaften für das gesellschaftliche Leben in der Stadt dar.

Aus der heutigen Sicht erscheint es mehr als beeindruckend, wie viele gastronomische Betriebe es in all den Jahrzehnten in der Stadt gegeben hat. Sie haben gute, aber auch schlechte Zeiten erlebt. Viele haben die Widrigkeiten überstanden, etliche bis in die heutige Zeit. Deswegen müssen wir in dieser Zeit den Gastwirtschaften mit Respekt begegnen. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringen wird. In diesen Tagen, die von Corona und der Energiekrise geprägt sind, stellt sich für viele die Existenzfrage. Die Welt verändert sich und mit ihr auch die Konsumgewohnheiten in unserer westlichen Welt.

WERNER FALK

„Geschichte der Bierschänken, Gastwirtschaften, Gasthöfe und Herbergen in Gunzenhausen 1500 bis 1945“, ISBN 978-3-87707-254-7I), 49 Euro. Erhältlich in allen Gunzenhäuser Buchhandlungen.

„Geschichte aller Brauereien, Felsenkeller und Mälzereien in Gunzenhausen“, ISBN 978-3-87707-253-0, 39 Euro.

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One Thought on “Gaststätten noch und noch

  1. Frank Franke on 27. Januar 2023 at 13:56 said:

    Wen interessiert´s? (Kategorie: sinnloses Wissen)

    Unsere Region sollte sich besser der Zukunft zuwenden, als ständig in der Vergangenheit zu verweilen.

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