Prof. Armin Scherb analysiert den Protest gegen das Impfen
Wenn Kritiker, Querdenker und Verschwörungstheoretiker zusammen mit Rechtsextremisten auf die Straße gehen, dann führt das zu einer Erosion der Abgrenzung. Diese Wahrnehmung macht Prof. Dr. Armin Scherb, der bis Februar 2020 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Fach Didaktik in Politik und Gesellschaft lehrte.
Der Arberger Wissenschaftler, der von 1980 bis 1998 am Gunzenhäuser Simon-Marius-Gymnasium unterrichtete, widmet sich schwerpunktmäßig dem Verhältnis von streitbarer Demokratie zu politischer Bildung. Er beobachtet in der Corona-Krise seit Monaten wütende landesweite Proteste, die von Hassbotschaften gegen Politiker und Epidemiologen über regelmissachtende „Spaziergänge“ und Fackelkundgebungen bis hin zu dem bedrohlichen Aufmarsch vor dem Privathaus einer Gesundheitsministerin reichen.
Zur Spaltung der Gesellschaft trage auch der politische Mainstream bei, der vor Pauschalierungen nicht Halt mache, wenn beispielsweise prominente Politiker von einer „Pandemie der Ungeimpften“ redeten. Diese Redeweise negiere, dass es Impfdurchbrüche gebe und somit auch Geimpfte das Virus übertragen könnten. Gerade die 2G-Regel bewirke mit einer indirekten Impfpflicht eine pauschale Stigmatisierung der Ungeimpften.
Scherb unternimmt den Versuch einer Typologie der Ungeimpften und spricht von vier Grundtypen. Die Kritiker und Skeptiker hätten Zweifel an der Impfpolitik, erhebten aber keinen Anspruch auf absolute Wahrheit und sie kämen ohne „messianischen Auftrag“ aus. Sie hätten Bedenken gegen den Impfstoff, weil es zu dessen längerfristigen Folgen heute noch keine Erkenntnisse gebe. Der Politikwissenschaftler diagnostiziert einen Vertrauensverlust in die Politik, sieht aber keine prinzipielle Demokratie- oder Systemkritik und nennt als prominentestes Beispiel Josua Kimmich.
Der zweite Typus, die Impfgegner, seien geprägt von einer prinzipiellen Ablehnung von Impfungen. Dazu gehörten die Anhänger einer alternativen Medizin und jene Menschen, deren Haltung religiös, anthroposophisch oder esoterisch motiviert sei – eine kaum vernetzte Parallelgesellschaft. Eine systemkritische Orientierung habe die Gruppe der Querdenker, deren Vertrauen gegenüber der Politik fundamental beschädigt oder ganz verloren gegangen sei. Ihr intellektueller Aufenthaltsort seien oft die Filterblasen und Echokammern, wie sie sich am Beispiel des „Telegram“-Kanals darstellten. Sie misstrauten den etablierten Medien und verpassten ihnen das Etikett „Lügenpresse“. Es würden Zweifel am öffentlichen-rechtlichen Fernsehen laut, wenn mit Anne Will, Maybritt Illner, Sandra Maischberger, Markus Lanz und Frank Plasberg immer nur die „üblichen Verdächtigen“ zu Wort kämen.
Ein breites Spektrum bedienten die „Verschwörungstheoretiker“, mithin der vierte Typus. Sie argumentierten, ein Geheimbündnis elitärer Mächte mit globalen und überzeitlichen Einflussmöglichkeiten sei ständig dabei, die Kontrolle über die gesamte Menschheit zu organisieren. Die Verschwörungstheoretiker hätten einen absoluten und unabweisbaren Wahrheitsanspruch, der immun sei gegen jede Kritik, weil Kritiker von ihnen sofort als Teil der Verschwörung identifiziert würden. Prof. Schlecht sagt, diese Gruppe müsse zwangsläufig kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild haben. Er ordnet sie im „Extremismus der Mitte“ ein.
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