Herder-Verlag: Die Geschichte des mittelalterlichen Ablasssystems
Der Ablass, also das Reinkaufen von Sünde und Fegefeuer gegen bare Münze, gilt bis heute weitläufig als Geschichte des kalkulierten Betrugs durch die Kirche an den ahnungslosen Gläubigen, die mit den Ablassbriefen luxuriöse Kirchenbauten wie den Petersdom in Rom finanzierte. Mit den bekannten Folgen: Martin Luthers Protest gegen die römisch-katholische Kirche und die darauffolgende Reformation, die sich im kommenden Jahr zum 500. Mal jährt. Aber war das Ablasswesen tatsächlich ein verordneter Betrug? Was wollte Luther wirklich, als er sich gegen den Ablass wandte? Und wie hat sich das System der Buße in der Kirche historisch überhaupt entwickelt? In ihrem spannenden und großartig erzählten Buch „Das Geschäft mit der Sünde. Ablass und Ablasswesen im Mittelalter“ geht die Historikerin Christiane Laudage diesen Fragen auf den Grund und beleuchtet das Ablasssystem, über das bis heute im Allgemeinen sehr wenig bekannt ist. Das Buch erscheint im Verlag Herder.
„Das Ablasswesen hat einen sehr schlechten Ruf, seit der Dominikaner Johann Tetzel durch die Lande zog und Martin Luther dem entgegentrat“, schreibt die Autorin Christiane Laudage im Vorwort über die Zielsetzung ihres Buches. „Wie die Gläubigen im Spätmittelalter bereits im Diesseits versuchten, Vorsorge für das Jenseits zu treffen, wird Thema dieses Buches sein. Die Leser sind eingeladen, sich auf eine Zeitreise zu begeben und mitzuerleben, wie über Jahrhunderte hinweg die Gläubigen versuchten, Trost im irdischen Leben und Hoffnung für das Leben nach dem Tod zu finden, denn der Ablass ließ sich mit den verschiedensten Formen der Frömmigkeit verbinden. Gleichzeitig diente er aber auch zur Finanzierung so unterschiedlicher Projekte wie dem Bau von Kirchen, Straßen, Brücken oder zur Armenspeisung. Und auch damals schon gab es gewiefte Kriminelle, die versuchten, den Gläubigen das Geld aus der Tasche zu ziehen.“
Bereits die junge Christengemeinde in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends nach Christi musste die Erfahrung machen, dass man nicht ohne Sünde leben kann. So entstand bereits sehr früh ein sehr komplexes Programm an Bußmethoden aus Beten, Fasten, Almosengeben oder die sogenannten Kanonischen Bußen, mit denen der Sünder seine moralischen Vergehen, aber auch Kapitalverbrechen wie beispielsweise Mord tilgen konnte. Im 11. Jahrhundert entsteht schließlich das Ablasswesen auf bischöfliche Initiative in Nordspanien und in Südfrankreich. Von der Peripherie der Kirche aus entwickelt es sich zum einflussreichen und ertragreichen System, mit dem später Kreuzzüge finanziert werden, aber auch der Bau von Hospitälern, Kirchen, Straßen oder Brücken. Dabei ist der weltliche Herrscher als Vermittler des Heils eine der treibenden Kräfte des Ablasses. Laudage zeichnet die historische und theologische Entwicklung und Verfeinerung des Ablasses vom Hoch- bis zum Spätmittelalter umfassend und kenntnisreich nach. Sie erklärt, warum es gerade das Ablasssystem war, das von Kritikern wie Johann Wyclif, Jan Hus oder schließlich Martin Luther aufgegriffen wurde und wie sich schließlich der Protest gegen den Ablass mit einer ungeheuren Dynamik entfaltete, die schließlich die Kirchenspaltung vollzog. Dabei hatte sich Luther vor allem aus einem rein theologischen Grund gegen den Ablass gewandt. Er hielt das Reinkaufen von Sünden für verzichtbar. Für ihn war nur das Evangelium, das Wort Gottes also, dazu fähig, den Menschen zu einer echten Buße zu verhelfen.
Laudage ist ein spannendes, umfassendes und verständlich geschriebenes Buch gelungen, das dem Leser in Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr helfen wird, den Ablass besser zu verstehen und das vorurteilsbehaftete Wissen über dieses jahrhundertealte Bußsystem zu korrigieren.
Bibliografie
Christiane Laudage: “ Das Geschäft mit der Sünde“, Ablass und Ablasswesen im Mittelalter; 2016, Originalausgabe; gebunden mit Schutzumschlag; 352 Seiten; Verlag Herder; ISBN 978-3-451-31598-5; 24,99 Euro; ab 17. Oktober 2016 im Handel erhältlich.
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