Zum 700. Geburtstag des spätmittelalterlichen Herrschers
Karl IV. (1316–1378) gilt heute als einer der bedeutendsten deutschen Kaiser des Mittelalters. In seiner mehr als 30jährigen Regierungszeit hat er mit seiner „Goldenen Bulle“ das politische Fundament des ersten „Deutschen Reiches“, also des Heiligen Römischen Reiches, das 1806 endete, gelegt. In einem Jahrhundert der Pestund Hungerkatastrophen gelang es ihm, seinen Einfluss durch politisches Geschick auszuweiten. Der in Prag geborene Kaiser erwies sich zudem als großer Förderer von Kunst, Kultur und Bildung und gründete 1348 in Prag die erste deutsche Universität.
Vor allem aber war er der einzige deutsche Herrscher des Mittelalters, der eine Selbstdarstellung verfasst hat. Sein Werk, „Die Autobiographie Karls IV. Vita Caroli Quarti“, erscheint nun aus Anlass des 700. Geburtstags von Karl IV. als erweiterte Neuausgabe in der wegen ihrer Ausstattung und editorischen Sorgfalt mehrfach gerühmten Bibliothek Historischer Denkwürdigkeiten im Alcorde Verlag – übersetzt, eingeleitet undkommentiert von dem Freiburger Historiker Eugen Hillenbrand.
Über die Erstausgabe von 1979 schrieb der bedeutende Historiker und Biograph Karls IV., Prof. Dr. Ferdinand Seibt: „Hillenbrands Edition und Übersetzung hat ihren eigenen Charakter und ihr besonderes Verdienst und verspricht jenem merkwürdigen Literaturwerk endlich größere Aufmerksamkeit.“
Ganz unumstritten war dieser Kaiser, dem in der Öffentlichkeit und in der Historiographie vor allem seit 1978 so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde wie kaum einem anderen deutschen Herrscher, jedoch nie. Seine Gegner hielten ihn für einen eitlen, unehrenhaften Geschäftemacher und würdelosen Ränkeschmied. Seine Befürworter hingegen sahen in
dem Kaiser einen weisen, umsichtigen und einflussreichen Herrscher. Die widersprüchlichen Urteile über Karl IV. finden sich auch in der Geschichtswissenschaft; sie sind bis heute nicht abgeebbt. Dies führt Eugen Hillenbrand in seiner Einleitung aus, in der er – umsichtig und klug recherchiert – das Wirken und das Leben dieser nicht leicht zu fassenden KaiserPersönlichkeit erzählt und analysiert. Zudem diskutiert Hillenbrand, zusammen mit einem Rückblick auf die aktuelle Forschung bis heute, eingehend dieFrage, was die „Vita Caroli Quarti“ eigentlich sei – eine Selbstrechtfertigung, eine Beschreibung herrscherlicher Lebensführung oder ein politisches Programm? Auch die Frage nach der Entstehungszeit der Autobiographie, die unter Historikern bis heute kontrovers diskutiert wird, findet bei Hillenbrand eine von der internationalen Forschung inzwischen allgemein akzeptierte Antwort. Diese geheimnisvolle Autobiographie, in der Karl die für ihn prägende Jahre von seiner Geburt (1316) bis zu seiner Königswahl (1346) erzählt und in der er von den großen Widerständen berichtet, die seinem Herrschaftsanspruch entgegenstanden, gibt trotz Hillenbrands beeindruckenden Forschungen noch immer manche Rätsel auf. Zu ihnen gehört auch die Frage, wer die letzten sechs derinsgesamt zwanzig Kapitel verfasst hat, die sich in Ton und Duktus deutlich von den ersten vierzehn Kapiteln unterscheiden.Nicht zuletzt hat sich Karl IV. mit diesem Solitär auch einen Platz in der Literaturgeschichte erworben. Für den heutigenLeser ist die Lektüre dieser einzigartigen Schrift eine Reise in die versunkene Welt des Spätmittelalters. Sie gibt einen spannenden und einzigartigen Einblick in die Gedankenwelt eines Herrschers, der seiner Zeit in kulturellen und politischen Belangen in mancherlei Hinsicht weit voraus war. Somit ist diese bibliophile Ausgabe für das aktuelle Jubiläumsjahr, das auch mit drei großen Ausstellungen über Karls Leben und die Herrscherjahre in Prag, Nürnberg und Potsdam bedacht wird, eine äußerst willkommene Einführung.
Die Autobiografie Karls IV. – Vita Caroli Quarti; eingeführt, übersetzt und kommentiert von Eugen Hillenbrand. Herausgegeben von Wolfgang F. Stammler; 308 Seiten mit 52 farbigen Abbildungen, 2016; Alcorde Verlag; ISBN 9783939973669; 36 Euro
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