Dr. Barbara Distel beim Freundeskreis der Synagoge Hainsfarth
Vier Tage bevor die Amerikaner am 29. April 1945 die Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau befreiten, hatten die Nazis noch einmal Statistik geführt und rund 200000 Häftlinge gezählt, die dort in den Jahren 1933 bis 1945 einsaßen. Nach amtlichen Angaben sind dort 41500 Menschen zu Tode gekommen. Wie Dr. Barbara Distel, die langjährige Leiterin der KZ-Gedenkstätte, bei einer Vortragsveranstaltung des Freundeskreises der Synagoge Hainsfarth erklärte, waren Menschen aus 38 Nationen dort eingesperrt.
Die Referentin hat, so Vorsitzende Sigi Atzmon, mit dem weltweit anerkannten Historiker Wolfgang Benz eine neunbändiges Werk über die Konzentrationslager (mit Außenlagern) herausgebracht, ferner die „Dachauer Hefte“. Sie war von 1975 bis 2008 die Leiterin der Gedenkstätte und gehört dem Beirat des renommierten Simon-Wiesenthal-Centers an. 1992 ist sie mit dem Geschwister-Scholl-Preis geehrt worden.
Als die Amerikaner das Lager befreiten, da waren es noch 32000 Häftlinge, darunter am meisten Polen, Russen und Ungarn, nur rund 6000 Deutsche. Wie Dr. Barbara Distel darlegte, ist über die Judenmorde nicht nur in Deutschland lange Zeit geschwiegen worden, auch in anderen Ländern war das so: „Viele konnten erst nach einem halben Jahrhundert darüber reden“.
1945 richteten die US-Militärs ein Internierungslager in Dachau ein, ein Militärgericht verurteilte 36 Angeklagte zum Tode. Bis 1948 gab es 500 Prozesse mit 1600 Angeklagten. 426mal verhängte die US-Justiz die Todesstrafe. In den fünfziger Jahren kam von Überlebenden aus Europa der Gedanke, in Dachau einen Ort des Gedenkens zu schaffen. Die Stadt aber wollte davon zunächst nichts wissen. Sie tilgte die Zeugnisse der schlimmen Zeit weitgehend, die Offiziellen sprachen verharmlosend vom „Camp“. Es gab ein „Schweigen im Schatten des Krematoriums“, wie es Dr. Distel nannte. Es bestanden kommunale Pläne, das Krematorium abzureißen. Bis 1972 war das Lager in amerikanischem Besitz.
Erst 1960 kam die Initiative, in der „SS-Schule der Gewalt“ eine große Dokumentationsausstellung zu machen. Sie mündete in der Errichtung der Gedenkstätte (Einweihung am 9. Mai 1965). Wie Dr. Distel bemerkte, stand die Mehrheit der deutschen Gesellschaft zunächst dem Projekt weitgehend ablehnend gegenüber. Das lokale Umfeld wollte ebenfalls nichts davon wissen: „Die Dachauer sahen sich an den Pranger gestellt, sie akzeptierten die Gedenkstätte erst nach und nach.“
Zunächst kamen jährlich rund 300000 Besucher nach Dachau, davon 75 Prozent aus dem westlichen Ausland. Didaktische Konzepte gab es damals nicht, so dass kaum deutsche Schulklassen zur Besichtigung kamen. Das änderte sich erst in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren (es wurden 800000 Besucher). 40 Jahre nach dem Kriegsende kamen die ersten Juden nach Dachau und das Mahnmal „Todesmarsch der Häftlinge“ entstand. Auch die Stadt ließ ein Mahnmal errrichten, allerdings erst 2001 als letzte der Kommunen. Nach der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ zu Beginn der neunziger Jahre kamen auch die ersten ehemaligen Häftlinge aus dem früher kommunistischen Machtbereich nach Dachau. Sie hatten am längsten über ihr Schicksal schweigen müssen. Zugleich sah sich das wohlhabende Deutschland ersten Entschädigungsansprüchen ausgesetzt.
2003 erlebte die KZ-Gedenkstätte ihre Neukonzeption. Jetzt wurde von verschiedenen Seiten aus geforscht und die Einzelschicksale rückten in das Zentrum („Der Weg der Häftlinge“). Sogar die Dachauer Ratsherren ließen in ihrer Stadt an den bedeutenden historischen Punkten Informationstafeln aufstellen. Zugleich entstand außerhalb des Lagers ein neues Besucherzentrum, in dem die Gäste einen Guide in acht Sprachen nutzen können.
„81 Jahre nach der Errichtung des Konzentrationslagers ist der Lernort Dachau weltweit anerkannt“, stellte die frühere Gedenkstättenleiterin fest. Heute kommen zu 50 Prozent Deutsche nach Dachau. Seit der Bundestag 2008 ein Konzept zur Förderung der Gedenkstätten in Deutschland beschlossen hat, fließt endlich Geld.
Gäste der Veranstaltung waren u.a. Bezirksrat Peter Schiele, der frühere Bezirksrat Alfred Stadler sowie Bürgermeister Franz Bodenmüller. Sie gehören zu den treuen Mitgliedern des Freundeskreises, der am 12. Mai seine nächste Vortragsveranstaltung mit dem Augsburger Gernot Römer abhält. Der beschäftigt sich mit der Frage, ob die Hainsfarther Juden einen eigenen Rabbiner hatten.
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