Die Schriftenreiche des Vereins gibt es seit 100 Jahren
Neu erschienen ist in diesen Tagen das Jahrbuch „Alt-Gunzenhausen“ des Vereins für Heimatkunde Gunzenhausen. Den Mitgliedern des Vereins ist die 480 Seiten starke Jubiläumsausgabe per Post zugegangen, im Buchhandel ist sie ab 14. Mai erhältlich (25 Euro). Die offizielle Vorstellung erfolgt am Donnerstag, 23. Mai, um 19.30 Uhr im „Haus des Gastes“.
„Möge unser Unternehmen, das aus der Liebe zur Heimat und der Geschichte hervorgegangen ist, dazu dienen, den Sinn für Heimatgeschichte zu wecken und zu stärken“. Das war der Wunsch der Autoren des ersten Hefts „Alt-Gunzenhausen“ im Jahr 1923. Sie verstanden die 84-seitige Schrift als eine „wissenschaftlich-historische Gabe“ im Jubeljahr der Stadt, das gekennzeichnet war von der Inflation. Begangen wurde das Stadtjubiläum deshalb auch erst 1924, als es wirtschaftlich schon wieder besser aussah. Zugleich brachte damals der Verein für Heimatkunde ein „Jubiläumsbüchlein“ heraus. Das zweite „Alt-Gunzenhausen“ erschien 1925. Uns so ging es weiter. Der Verein konnte die Publikation meist jährlich herausgegeben mit einem Umfang von rund 150 Seiten, ab 2000 stieg der Umfang auf 280 Seiten und mehr. Deshalb sprechen wir nicht mehr von unserem „Heft“, sondern von unserem „Jahrbuch“.
Der Vorsitzende und der Schriftleiter sowie die gesamte Vorstandschaft des Vereins sind stolz auf diese Leistung. Die Herausgabe von „Alt-Gunzenhausen“ ist möglich, weil die Mitglieder (inzwischen sind es 310) ihren jährlichen Obolus entrichten. Die Stadt Gunzenhausen gewährt einen ansehnlichen Zuschuss, ferner die Wilhelm-und-Christine-Hirschmann-Stiftung und der Bezirk Mittelfranken. Der Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, die Sparkasse, die Raiffeisen- und Volksbank im südlichen Franken sowie die Raiffeisen- und Volksbank Mittelfranken Mitte gehören zu unseren Sponsoren. Ihnen gilt unser großer Dank.
Vorsitzender Werner Falk und Stellvertreter Werner Mühlhäußer bedanken sich auch bei den Vorstandsmitgliedern Rüdiger Schmidt (Unterwurmbach), der die Finanzen verwaltet, und bei Armin Kitzsteiner, der als Schriftführer fungiert. Dem Ausschuss gehören an: Siglinde Buchner (Weißenburg), Heidi Denzinger (Gunzenhausen), Gerhard Herrmann (Wald), Thomas Müller (Kalbensteinberg), Günther L. Niekel (Muhr am See), Georg Pfahler (Würzburg), Hannfried Reinhardt (Gunzenhausen) und Ernst Renner (Gunzenhausen). Als Revisoren im Verein fungieren Thomas Fischer und Hans Minnameier.
Die Themen der 20 Beiträge von 18 Autoren beschränken sich nicht nur auf Gunzenhausen, sondern das ganze Umland. Und sie reichen von der Vor- und Frühgeschichte bis in die Gegenwart. Es sind nicht immer gute Zeiten, über die geschrieben wird. Allein in 17 Jahrbüchern beschäftigen sich seit 1987 die Autoren mit dem Nationalsozialismus und Antisemitismus in Gunzenhausen. Unser Dank gilt den Autoren, die beileibe nicht mehr alle in der Region leben, aber die ihrer Heimat treu geblieben sind, indem sie die Historie von den verschiedensten Blickwinkeln aus beleuchten. Das war immer so und das belegt auch die vorliegende Jubiläumsausgabe, die anlässlich des 100-jährigen Bestehens von „Alt-Gunzenhausen“ vorgelegt werden kann. Der Vorstand hat deshalb eine repräsentativere Gestaltung dieses über 400 Seiten starken Jahrbuches gewählt. Die Autoren arbeiten für Gotteslohn. Und das veranlasst uns, ihnen größte Anerkennung auszusprechen.
Wir dürfen den Inhalt der 78. Ausgabe in geraffter Form vorstellen und laden die Leser ein, tiefer in die heimatkundlichen Beiträge einzusteigen.
Prof. Georg Seiderer von Lehrstuhl für Neue Bayerische und fränkische Landeskunde an der Uni Erlangen-Nürnberg, ist ein gebürtiger Gunzenhäuser. Er hat uns die Erlaubnis gegeben, seine Festrede zum Stadtjubiläum „Gunzinhusir 823 – Gunzenhausen 2023“ abdrucken zu dürfen. Der Historiker wirft einige wichtige Schlaglichter auf die Geschichte der Stadt. Dazu gehört auch der Hinweis auf das reichsweite erste Judenpogrom 1934 und das erste Hitlerdenkmal.
Der Archäologe Arnd Kluge hat im Vorfeld der Innenhofgestaltung des Rathauses das Areal untersucht und bauliche Zeugnisse aus dem 13. und 14. Jahrhundert entdeckt, so auch einen Gewölbekeller, der im 17. Jahrhundert abgebrochen bzw. verfüllt wurde. Unter dem Titel „Archäologische Schlaglichter zur frühen Stadtgeschichte von Gunzenhausen“ fasst er seinen Vorbericht zu den Ausgrabungen zusammen. Er dokumentiert den Übergang von früher Pfostenbebauung hin zur Errichtung komplexerer Steinanlagen. Sein Fazit: Die Ergebnisse der Grabung bieten einen im regionalen Umfeld bislang seltenen Einblick in die bauliche Entwicklung des im späten Hochmittelalter rasch zunehmenden Städtewesens.
Gunzenhausen unter der Herrschaft der Nürnberger Burggrafen bzw. der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1368-1427) beleuchtet Siglinde Buchner, die seit vielen Jahren zum festen Stamm unserer Autoren gehört. Die Ära dauerte 437 Jahre und endete 1806 als das Fürstentum Ansbach und somit auch die Stadt Gunzenhausen an das Königreich Bayern kamen.
Siglinde Buchner stellt auch „die burggräflich-nürnbergischen Vögte zu Gunzenhausen“ vor: Ulrich von Muhr, Konrad von Lentersheim, Wilhelm von Steinheim und Caspar von Puttendorf. Letzterer war zugleich der erste markgräflich-brandenburgische Vogt.
Zugleich präsentiert Siglinde Buchner unter dem Titel „Die markgräflich-brandenburg-ansbachischen Amtmänner und Oberamtmänner in Gunzenhausen“ das Wirken der 21 obersten Beamten des Regenten dar (bis 1792, dem Ende der Markgrafenzeit). Sie macht das in geraffter Form. Im Einzelnen hat sie die bekanntesten Leiter des Oberamts Gunzenhausen bereits in vergangenen Ausgaben von „Alt-Gunzenhausen“ vorgestellt.
Reizvoll ist der Titel: „Osiander über Osiander“. Der Autor Wolfgang Osiander unterrichtete lange am Gunzenhäuser Simon-Marius-Gymnasium. Er macht Anmerkungen zu den Ego-Dokumenten des Nürnberger Reformators Andreas Osiander (einem gebürtigen Gunzenhäuser), die er als „Quellen der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung“ interpretiert. In seiner Verteidigungsschrift „Apologia Andreae Osiandri“ wehrte sich der Freund Luthers gegenüber anonymen Angriffen auf seine theologische Position und sein Privatleben. Viele seiner Zeitgenossen nahmen ihn als Ketzer wahr, weniger als Reformator. Ihm wurde das Missgeschick vorgehalten, „sich mit möglichst vielen und einflußreichen Menschen zu überwerfen“.
„Alt-Gunzenhausen“ hat sich niemals nur auf die Stadt beschränkt, sondern immer das Hinterland mit einbezogen. So lässt uns Werner Kugler, vormals Dekan in Heidenheim, teilhaben an den „Auswärtigen im ältesten Traubuch Heidenheims“. Die Aufzeichnungen Der Trauungen und Taufen gehen auf die markgräfliche Kirchenordnung von 1533 zurück und beziehen sich auf den Zeitraum bis 1707.
„Die Nachtwächter in Gunzenhausen im 19. Jahrhundert“ mussten „unterschrocken und herzhaft“ ihren Dienst tun. Wie Werner Neumann aufzeigt, hatten sie sich bei ihren nächtlichen Rundgängen umzusehen nach „verdächtigen Diebereien, gefährlichen Zänkereien, allerlei Frevel und Feuergefahr“. Sie mußten sich gegenüber den Einwohnern „bescheiden und höflich benehmen“. Allerdings sorgte der Brauch, die Nachtstunde laut pfeifend und singend von den Nachtwächtern ansagen zu lassen, zunehmend für Ärger, so dass es bis 1919 nur mehr eine „Stillwache“ gab.
Die pädagogischen Ideen des Laubenzedeler Pfarrers Christoph Titius (1641-1703) stellt Dr. Joachim Schnürle vor. Der pietistisch geprägte Geistliche aus Schlesien kam nach seinem Theologiestudium in Altdorf 1666 nach Laubenzedel, wo er bis 1671 wirkte. Er schrieb geistliche Lieder, von denen einige sogar im Gesangbuch des 18. Jahrhunderts erschienen sind. In Reimen verfasste er seinen „Bibel-Calender“, der es den kirchlichen Laien erleichtern sollte, die Texte zu verstehen.
Unter dem Kapital „Kirchenbücher erzählen Geschichte“ veröffentlicht Wolfgang Pfahler seine Recherchen zu Trauungen und Bestattungen von 1618 bis 1717 in Gunzenhausen. Dabei werden die Lebensumstände jener Zeit offenbar. Als Beispiel sei dieser Eintrag genannt: „Caspar Denner, ein Weber von Cronheimb, ist auß Schwachheit und Blödigkeit des Haubds in seiner Kranckheit auffgestanden und in sein Garten gangen, da er in ein unverdecktes Brünlein gefallen u. darinnen ertruncken, weil denn uns gnediger Fürst und Herr die Hohe Obrigkeit immediate allda herr ist er allhier uff unseren Kirch Hoff uff Fstl. befel d[och? begraben worden.“
Die Kirchenbücher von 1618 bis 1717 sind für Wolfgang Pfahler ein Spiegelbild der Jahre von 1618 bis 1717. „Katastrophen und Regeneration“ betitelt er seinen zweiten Beitrag, den er mit umfangreichem tabellarischem Zahlenmaterial bereichert. Liegt heute in Deutschland die Kindersterblichkeit bei 0,38 Prozent, so erlebten im 17. Jahrhundert 60 Prozent der Kinder das vierte Lebensjahr nicht. Nur 10 Prozent der Männer und 8,8 Prozent der Frauen wurden älter als 70 Jahre.
Einen detaillierten Aufriss der Grabstätten in der Gruft in der Walder Kirche liefert Dr. Daniel Schönwald, aber auch ihm gelingt es nicht, alle Nachweise zu liefern, denn in den Kirchenbüchern sind 13 Bestattungen vermerkt, in der Gruft befinden sich aber 16 Särge. Auch die Stammmutter derer von Falkenhausen (Elisabeth Wünsch) hat dort ihre letzte Ruhe gefunden. Die erste Bestattung in der Gruft war übrigens 1724, also schon zwei Jahre vor der Einweihung der Kirche.
Auf Gunzenhausen geht Thomas Freller in den Reisebeschreibungen der Frühen Neuzeit unter dem Titel „Ein feines Brandenburgisches Städtlein“ ein. Einen literarischen Widerhall hat die Stadt im 16. und 17. Jahrhundert noch nicht gefunden. Der unbekannte Reisende von 1755 ist von ihr begeistert: „…ist eine feine Stadt, welche unter denen fürnehmsten dieses Margrafthums billig einen vorzüglichen Platz hat“. Der Anonymus schwärmt von „Heerden von tausend, anderthalb tausend Stücken der schönsten Gänse“, die er in Schlungenhof schnatternd vernommen hat.
Lothar Hiemeyer hat sich der Mühe unterzogen, die Geschichte einer Gunzenhäuser „Institution“ zu durchleuchten. „Das Handelshaus Ludwig Faulstich – Aufstieg und Niedergang“ ist sein Beitrag betitelt. Vom Gründer Johann Georg Faulstich, der 1747 das Gasthaus „Zur Sonne“ (Sonnenstraße 2) erwarb, bis zu Friedrich Faulstich III. reicht die Geschichte eines erfolgreichen Handelshauses, das im 19. Jahrhundert zu den größten Kaffeeröstereien (neben „Karthreiner“) in Bayern gehörte. Alle Generationen hielten die Tugenden des „ehrbaren Kaufmanns“ aufrecht. Die Liebschaft des Eigentümers (das NS-Regime beschuldigte ihn des „rasseschänderischen Verkehrs“ zu einer Jüdin endete mit einem Fiasko: Elsa Seller erhängte sich 1937, Ludwig Faulstich 1941. Das Geschäft ging an Ferdinand Zuber über.
Anlässlich des Jubiläums „200 Jahre Sparkasse Gunzenhausen“ hat Stadtarchivar Werner Mühlhäußer eine Zeitreise in die abwechslungsreiche Geschichte der Sparkasse unternommen. Unsere Leser können den höchst interessanten Vortrag mit seinen vielen pointierten Randbemerkungen nachlesen. Gründer der Sparkasse, die heute zu den ältesten in Bayern zählt, war 1823 der Stadtschreiber (damals die am höchsten dotierte Stelle in der Stadtverwaltung) Johann Heinrich Frauenknecht, der die Gründung rechtfertigte, „… damit der minder Vermögende, der Handwerksgeselle, die Dienstboten und Kinder Gelegenheit erhalten, ihre wenigen Ersparnisse auf Zinsen sicher anzulegen und dieselben nicht mehr in die traurige Lage gesetzt werden, solche einzu- büßen“.
Der jüdische Lehrer Simon Krämer dürfte für viele ein Unbekannter sein. Wilfried Jung, der sich wiederholt mit der jüdischen Geschichte von Muhr am See befasst hat, stellt ihn vor. 1832 hat Krämer in Altenmuhr geheiratet und die jüdische Schulstelle übernommen. Ganz wohl geführt hat er sich dort aber nicht, denn „gesitteteren Menschen“ und der „höheren Klasse“ begegnete er beim wöchentlichen Kartenspiel in Gunzenhausen. Aus seiner Feder stammen übrigens etliche „Volksschriften“, die das Zusammenleben von Juden und christlichen Nachbarn beschreiben und heute noch im Internet zugänglich sind.
Neu im Kreis der Autoren ist Manuel Grosser, der Pressereferent der Stadt Gunzenhausen. Er führt sich mit einem Beitrag über die Kinos in Gunzenhausen („Bewegte Geschichte – Als die Bilder laufen lernten“) ein, der als ein „Anreißer“ zu verstehen ist für sein Buch, das 2024 erscheinen wird. Das 1910 eröffnete „Lichtspielhaus Wittelsbach“ war nach seinen Recherchen das erste offizielle Kino in der Stadt. 1919-1929 sind die „Apollo-Lichtspiele“ (im Fränkischen Hof), die „Adler-Lichtspiele“ (1919-1030) und das „Bavaria“-Kino (1949-1998) im Brauhaus, die „Neuen Lichtspiele“ in der Bahnhofstraße (1928-1984) und das „Central-Theater“ in der Hensoltstraße (1949-2001) dazu gekommen.
Unter dem Titel „Vaterländisches Gesindel in Gunzenhausen“ widmet sich Monika Wopperer den Anfängen der örtlichen SPD bis zum Ersten Weltkrieg. Sie geht auf die Gründung des „Sozialdemokratischen Vereins Gunzenhausen“ 1906 durch den Hafner Michael Sörgel ein, der sich gegenüber den Behörden zu behaupten hatte, denn ein Polizeioffiziant hatte die monatlichen Treffen der Arbeiterpartei zu überwachen. Die Sozialdemokraten galten als „gefährlichster Feind des Kleingewerbes“.
1968 stand die Bundesrepublik Deutschland ganz im Zeichen der Studentenunruhen. Werner Somplatzki greift diese Facette der Umbruchzeit unter dem Titel „Eine Flugblattaktion am Gymnasium Gunzenhausen“ auf. Es war die Zeit, als die Schüler mit ihren Forderungen nach mehr Mitsprache allein standen, die Kritik der Schüler als „schlichte Unverschämtheit“ zurückgewiesen wurde. In einer Protestschrift wandten sich acht Schüler gegen die autoritäre Pädagogik.
Ein ungewöhnlicher Beitrag ist der von Judith Raab („Die Entstehung des Fränkischen Seenlands – eine unglaubliche Geschichte“). Sie unternimmt den Praxistest, mittels der KI (Künstliche Intelligenz) das Thema aufzuarbeiten und erfährt dabei, was die künstliche Sprachwahl hergibt und was sie nicht leisten kann. Deshalb ihr realistisches Ergebnis: „Es ist gut, bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Projekts Fränkisches Seenland auf menschliche Intelligenz zu setzen und nicht auf künstliche.“
Die Reihe „Gunzenhäuser Lebensbilder“ wird von Werner Falk fortgeführt. Er porträtiert Fritz den Schuhmachermeister Fritz Bleicher, den Möbelhausinhaber Siegfried Böckler, den legendären FC-Vorsitzenden Hans Fischer, die Eisläuferin Gusti Gerlich, den Stadtbaumeister Sepp Kemmethmüller und die Sportlerin Inge Schömig.
Werner Falk, Vorsitzender
Werner Mühlhäußer, Schriftleiter
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