„Der Graf von Monte Christo“ begeisterte Publikum in der Stadthalle
Alexandre Dumas sagenhafter Antiheld „Der Graf von Monte Christo“ wäre im 20. oder 21. Jahrhundert sicher irgendeine austauschbare Figur im Marvel- oder DC-Comicuniversum. Zu phantastisch ist seine Superschurkengeschichte, zu tragisch sein persönlicher Epihaniemoment am Ende. Der Roman erschien allerdings Mitte des 19. Jahrhundert, die Erwartungshaltung an ein Abenteuer war noch eine ganz andere, höhepunktärmere. Dann dieser Titel: „Graf“ – spätestens Bram Stokers rund 50 Jahre später erschienener Roman „Dracula“ webte eine Aura des Unheimlichen um diesen Adelstitel. Dumas bastelte mit seinem Roman eine literarische Schablone oder Formel, die oft kopiert und bis heute über alle möglichen Plots darübergestülpt wird. Das Leben seines Grafen verläuft tragisch. Dieser fällt einer grausigen Intrige zum Opfer, geht für 14 Jahre in den Kerker und bricht – vom Wahnsinn gezeichnet – innerlich. Nach einer unerwarteten Flucht an deren Ende großer Reichtum wartet, schwebt er als Racheengel durch die französische High Society, nur um sich am Ende dann doch geläutert zu zeigen und von den eigenen Dämonen besiegt zu werden. Es steckt viel drin in diesem „Der Graf von Monte Christo“ und es ist ein sehr anspruchsvolles Unterfangen, diese machtvolle Geschichte für die Theaterbühne zu adaptieren. Das theaterlust-Ensemble hat es gewagt und entfacht bei Aufführungen des Stücks ein adrenalingetränktes Bühnenfeuerwerk.
Letzten Samstag wurde das Werk in der Gunzenhäuser Stadthalle gezeigt. Theaterspielen kann richtig harte Arbeit sein. Das Publikum wusste das bereits vor dem Beginn, denn die Bühne war vollgepackt mit allerlei Requisiten. Offene Bühnenelemente, Treppen, Traversen, im Hintergrund hingen große Blechstreifen – viel Metall und grobe Optik, wir blicken tief in das gefühllose Herz der Geschichte rund um den Seemann Edmond Dantés. Das Stück startet diesem Stil gerecht mit harten Klängen einer E-Gitarre, das Ensemble reiht sich auf der Bühne auf. Von Beginn an herrscht Einsamkeit und emotionale Kälte, selbst die eingestreute Liebesgeschichte um Dantés und Mercedes bringt keine Linderung. Der gefallene und wieder aufgestanden Graf ist eine Maschine, er funktioniert selbst unter größter Last, sein Treibstoff ist die Rache. Sarah Silbermanns Theateradaption vom „Grafen“ ist steril und hilft dabei, sich auf den Kern der Handlung zu konzentrieren. Das Außenrum oder gar Einblicke in die französische Upper-Class des 19. Jahrhunderts werden tunlichst vermieden, hier wird sich auf das Wesentliche konzentriert.
Die Falschheit ist der Gesellschaft immanent, wirklich gute Menschen gibt es nicht, selbst wenn am Ende die schöne Valentine und der naive Maximilien in typisch-tragischer Manier zusammenfinden. Wer das nun ist, fragen Sie sich? Zeitweise war es tatsächlich schwierig zu folgen, machten es einem die vielen französischen Namen alles andere als leicht. Wohl dem, der die Vorlage kennt (oder zumindest vorher einen Blick in das Programmheft werfen konnte, Figurenbeziehungen inklusive). Ruht der literarische Geist sonst eher in einer individuellen Beschäftigung mit der Romanvorlage, wird im Theater Inhalt nach nicht beeinflussbarem Tempo suggeriert. Dass die sieben Schauspielerinnen und Schauspieler ständig von einer Rolle in die andere wechseln, oft nur erkennbar durch ein anderes Kleidungsstück, macht es nicht leichter. Und doch gelingt es den künstlichen Figuren, das Publikum magisch in den Bann zu ziehen und mitzureißen.
Johannes Schöns Metamorphose vom ausgezehrten Delinquenten Edmond Dantès zum vitalen Superschurken Graf von Monte Christo sucht auf der Bühnenlandschaft Vergleichbares. Seine Wut auf die Welt ist körperlich spürbar, er bestimmt das Tempo der Handlung in eindrücklicher Art und Weise. Es entwickelt sich ein regelrechter Sog, von dem selbst außergewöhnliche Schauspielerinnen wie Anja Klawun oder Pia Kolb verschlungen werden. Als es ihm wie Schuppen von den Augen fällt und er seine Feinde erkennt – sein ganz persönliches Cui Bono-Erweckungserlebnis – hielt die Stadthalle den Atem an. Ein furchteinflößender Gesichtsausdruck, dazu das wilde Gegacker scheinbar wahnsinnig gewordener Mitspielerinnen und Mitspieler – kurzzeitig wird der Plot aufgebrochen und alle Regelmäßigkeiten fliegen über Bord. Das führt gar dazu, dass plötzlich der Musiker – sonst hinter den Kulissen – mitten auf der Bühne steht und Teil des Ganzen wird. Das ist großes Theaterkino, vielen Dank dafür.
Zugegeben, teils verstörende Szenen trüben das Bild ein wenig. Schock ist gut, doch zu viel davon bewirkt leider das Gegenteil. Unverständlich, warum „im Hintergrund“ an Haaren geschnüffelt oder eine Babypuppe wild durchgeschüttelt wird. Die Inszenierung ist exzellent, da sind solch plumpe Aktionen gar nicht nötig.
Immer wieder spitzt ein „Vierter Wand“-Effekt um die Ecke. So fangen plötzlich und aus keiner großen Motivation heraus allesamt das tanzen und singen an. Vielleicht ein Verweis auf den Grundtenor der Vorlage: Bruch mit den Konventionen und dass nicht immer alles richtig sein muss, was gerecht erscheint. So wird der Gerichtete zum Richter um am Ende doch zu fallen und geläutert zu sein.
Die Aufführung war Teil der Gunzenhäuser Theaterspielzeit 2023/2024. Weiter geht es bereits am 16. Dezember 2023 mit der Komödie „Drei Männer und ein Baby“. Nähere Informationen erhalten Sie auf der Homepage www.gunzenhausen.info.
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