Stehende Ovationen in der Stadthalle Gunzenhausen

An dieser Theateradaption des Filmklassikers „Avanti! Avanti!“ scheiden sich die Geister! Das Stück ist völlig aus der Zeit gefallen, es ist übermäßig laut, voller knalliger Farben und schließlich unangebracht vulgär. Fremdschämmomente wechseln sich mit deutsch-italienischen Schlagern aus den 50er-/60er-Jahren ab. Dennoch wurde mittendrin immer wieder geklatscht, am Ende gab es sogar stehende Ovationen. Das eher als zurückhaltend geltende Gunzenhäuser Publikum hatte mitgesungen und mitgewippt. Was ist da passiert, in diesen fast drei Stunden Unterhaltungsprogramm? Vielleicht ja das: Das Schauspielensemble versprühte eine dermaßen hohe Konzentration an Vitalität und guter Laune, dass die Besucherinnen und Besucher am Ende gar nichts anderes machen konnten, als lautstark mitzufeiern.
Die Story von „Avanti! Avanti!“ tut eigentlich nichts zur Sache, wer hier Karten hatte, wollte entweder Stefanie Hertel als Alison Ames sehen oder einfach nur ein paar ohrwurmverdächtige Evergreens hören. So plätschert die Liebelei zwischen dem Amerikaner Sandy Clairborn (Stuart Sumner) und der Engländerin Alison Ames (Stefanie Hertel) in Rom nur so dahin, dazwischen gibt es ein paar eingestreute Plot-„Höhepunkte“, die so oder so ähnlich schon tausend Mal gezeigt wurden. Was allerdings sofort bei „Avanti! Avanti!“ auffällt, sind die stechenden Farben, die immense Lautstärke und die völlig überzogene Gestik und Mimik des Ensembles. Die Figuren sind dermaßen überzeichnet, dass sie zum personifizierten Klischee werden. Dabei treiben es die Schauspielerinnen und Schauspieler immer mehr auf die Spitze, so manche Szene verfällt in seine Bestandteile, bis nur noch eine überzogene Parodie übrigbleibt. So etwa die zahlreichen Ausreißer, etwa ein Pfeile verschießender Amor, der in Tennissocken auf die Bühne tippelt, eine Live-Radioreparatur mittels „auf Wand schlagen“ oder ein theatralisch Mundharmonika spielender Hoteldirektor (Kenny Cassel). Skurrile Szenen, wie sie auch in Filmklassikern wie „Die nackte Kanone“ oder „Police Academy“ vorkommen hätten können. Hier sorgen sie für viele Lacher und ein wohlig-warmes Gefühl in der Magengegend.
Das Bühnenbild ist durchweg klasse und versprüht bis ins Detail das Flair der „guten alten Zeit“. Dazu sind einige Elemente beweglich, im Hintergrund fahren Auto, Vespa oder ein Schwan vorbei. Ein großes Lob verdienen alle Darsteller, die an diesem Abend mehr Entertainer als Mimen sind. Sie wissen, was das Publikum will, und sie geben dem Publikum das, was es will. Dabei setzten sie immer noch einen oben drauf, so dass die Stuhlreihen mehr und mehr in einen Euphorie-Flow verfallen. Diese Spirale gipfelt in der Zugabe, ein nicht enden wollendes Medley aus alten Schlagern. Auf der Bühne wird getanzt, gesprungen und gesungen, so lange, bis der tote Punkt überwunden ist und die positiven Gefühle alle beseelt nach Hause gehen lassen. Abgekämpft gehen beide Seiten auseinander.
Dennoch war nicht alles Gold, was an diesem Abend geglänzt hat. „Avanti! Avanti!“ ist nämlich auch ein schlecht erzählter Altherrenwitz. Hier wird am Fließband sexuell belästigt und anzüglich dahergeredet. Sascha Hödl spielt seinen Baldassare „Baldo“ Pantaleone dermaßen überzogen gut, dass der Charakter irgendwann nur noch eine nervende Projektionsfläche ist. In „Avanti! Avanti!“ wird gegrapscht, gegen den Willen geküsst und übertrieben wollüstig rumgehampelt. „Nein heißt nein“ oder „MeToo“ kommen in dieser Welt der 1960er-Jahre nicht vor. Freilich ist das alles dem Ensemble bewusst, aus Stefanie Hertel wird es gegenüber dem mehrmals auf ihr Hinterteil schlagenden Filmregisseur Vittorio Spina (David-Jonas Frei) irgendwann herausbrechen: „In 20 Jahren hätte ich Sie angezeigt“. Hier wird es unangenehm und wer genau hinschaut, der liest das auch an den Gesichtern der tapferen Schauspielerinnen und Schauspieler ab. Doch bekanntlich „must the show go on“ und so wird der grenzwertige Plot wohl auch weiterhin in dieser Form gespielt werden. Schade für das Ensemble, welches es durchweg richtig gut macht. Wie passend ein Zitat, welches irgendwann mitten im Stück fällt: „Moral ist eine schlimme Krankheit!“
Die diesjährige Gunzenhäuser Theatersaison hat mit „Avanti! Avanti!““ ein fulminantes Ende gefunden, bereits jetzt dürfen Sie sich auf den Durchgang 2025/2026 freuen. Dann wird u.a. das Stück „Kardinalfehler“ mit Gerd Silberbauer gezeigt und auch „Ein Sommernachtstraum“, adaptiert von dem herausragenden Ensemble Persona aus München. Nähere Informationen erhalten Sie unter www.gunzenhausen.info.
Neueste Kommentare