Eugeniusz Bratkowski schreibt in „villa nostra“

Den „totalen Einsatz für das Reich“ forderten die Nationalsozialisten bis in die letzten Kriegstage. Millionen von Menschen aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten wurden zur Sklavenarbeit in das Reich verschleppt. In trockenen Zahlen liest sich das so: 13, Millionen ausländische Arbeitskräfte und Häftlinge von Lagern wurden eingesetzt, darunter 4,6 Millionen Kriegsgefangene, 8,4 Millionen Zivilarbeiter und 1,7 Millionen KZ-Häftlinge. Buchhalter der Zwangsarbeit war Fritz Sauckel, der Generalbevollmächtigte im Reich.
2008 hat sich der seinerzeitige Oberbürgermeister Reinhard Schwirzer in den „Weißenburger Blättern“ (villa nostra) mit den Ostarbeitern in Weißenburg beschäftigt, jetzt vertieft Eugeniusz Bratkowski (76) die Thematik in der jüngsten Ausgabe. Er bewohnte mit seiner Familie die einstige „Polensiedlung“ in Weißenburg, wurde hier eingebürgert und besuchte die Schule. 35 Jahre war er kaufmännischer Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung.
Weißenburg hatte zu Kriegsbeginn 8760 Einwohner, darunter rund 900 ZwangsarbeiterInnen. Von 1939 bis 1945 war insgesamt 2695 registriert. 1068 Russen, Ukrainer und Polen waren im Ostarbeiterlager am Lehenwiesenweg untergebracht, die anderen 1627 Zwangsarbeiter lebten in Massenunterkünften, Gaststätten, Scheunen und Fabrikgebäuden. Nach den „Ostarbeiterlassen“ von 1942 waren sie nach Geschlechtern getrennt untergebracht, sie durften das Lager nur für die Arbeit verlassen, mussten den Aufnäher „Ost“ auf der Kleidung tragen und bei Geschlechtsverkehr mit deutschen Frauen wartete auf die Männer die Todesstrafe. Es herrschte ein System rassisch-bürokratischer Repression, nur in den Landgebieten, wo viele Zwangsarbeiter auf den Höfen der fränkischen Bauern schufteten, ging es etwas humaner zu. Von der Firma Turbinenbau-Ossberger ist bekannt, dass sie sich „wohlwollend“ für ihre Mitarbeiter eingesetzt hat. Zu den Zwangsarbeitern gehörten auch die auf der Wülzburg internierten russischen Offiziere (389).
Eugeniusz Bratkowski geht auch auf seine persönliche Situation ein und beklagt, dass nach dem Krieg das Thema „Zwangsarbeiter“ an den Schulen überhaupt nicht thematisiert wurde. Er stützt sich auch auf die von Reinhard Schwirzer ermittelten Fakten und Zahlen. Demnach gab es in Weißenburg Fremdarbeiter aus 23 Nationen, 925 aus der UdSSR, 126 aus Polen, 38 aus der Ukraine, 174 aus Frankreich, 32 aus Estland, 53 aus den Niederlanden, 54 aus Italien, 25 aus Serbien und 534 aus Belgien lebten in 221 Unterkünften, der Rest im Lager am Lehenwiesenweg.
Wie Schwirzer ermittelt hat, sind in der Stadt von 1940 bis 1945 382 Kinder von russischen und polnischen Arbeiterinnen auf der Entbindungsstation des Ostarbeiterlagers geboren worden. Viele überlebten die ersten Wochen nicht, zudem wurde ein Viertel der Schwangerschaften zwangsabgetrieben.
Bratkowski schildert vier Einzelbeispiele von Zwangsarbeitern. Jan Pacala, der auf einem Hof in Massenbach gearbeitet hatte, wurde der Rassenschande bezichtigt und von russischen Gefangenen erhängt. Die Nazis wollten auch, dass die Polen zur Abschreckung an den Erhängten vorbeilaufen mussten. Zwei Tage vor der Befreiung durch die amerikanischen Soldaten wurde Roman Stepien, der beim Bauern Michael Fröhling in Gundelsheim war, von deutschen Soldaten erschossen. Auf Befehl der SS wurden Wladimir und Maria Dobrowolski aus der Ukraine in den letzten Kriegstagen erschossen und von einem zufällig anwesenden Straßenwärter im Wald verscharrt, später auf Geheiß der US-Besatzungssoldaten vom Kaldorfer Bürgermeister identifiziert und ordentlich bestattet. Der Pole Valenty Zajac, der bei einem Landwirt in Gundelsheim an der Altmühl verpflichtet war, hat sich aufgrund einer Depression erhängt und ist auf dem Weißenburger Wasenplatz (Fallgarten) bestattet worden, wo sonst nur Tierkadaver verscharrt wurden. Bratkowski erinnert auch an den Polen Karol Kuk, der von 1952 bis 1980 in der Polensiedlung lebte und sich als „fahrender Händler“ durchschlug. Er zog mit seinem Handwagen über das Land und verdiente damit rund 42000 Mark, die bei ihm im Rahmen einer Zwangsräumung entdeckt wurden. Immerhin verblieben ihn nach Abzug von allerhand Verbindlichkeiten noch 36000 Mark. Seine letzten Jahre verbrachte er in der „Shilo Ranch“ in der Jahnstraße 21.
An die Zwangsarbeiter erinnert seit 2023 ein Mahnmal am Lehenwiesenweg.
WERNER FALK
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