Jahresband des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte erschienen
Die wenigsten waren Helden, die meisten ganz einfach Mitläufer. Die Menschen im Nationalsozialismus, das ist ein vielfach aufgearbeitetes zeitgeschichtliches Thema. Von der evangelischen Kirche weiß man, dass unter ihren Geistlichen leidenschaftliche Fürsprecher der nationalsozialistischen Ordnungs- und Rassepolitik waren. Hingegen ist die Stellung der katholischen Kirche in der NS-Zeit bisher recht wenig erforscht. Das ist auch die Ansicht von Dr. Walter Ansbacher, dem Geschäftsführer und 2. Vorsitzenden des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte. Im 2020er Jahrbuch der Gesellschaft nimmt er sich der Sache an und skizziert am Beispiel des Duracher Dekans Anton Fischer (1880-1952) den „Katholischen Klerus im Widerstand gegen das NS-Regime“.
Mit Diplomatie und taktischem Verhalten versuchte die katholische Kirche zunächst, den offenen Dissenz zu vermeiden, aber einzelne Pfarrer boten dem System offen die Stirn. Immerhin ist festgestellt worden, dass von 1933-1945 62 Prozent der Seelsorger aufgrund „unangepassten Verhaltens“ mit den braunen Machthabern in Konflikt gerieten. Wie der Autor Walter Ansbacher festhält, hat sich Fischer nicht vom Hochgefühl der nationalen Begeisterung anstecken lassen, er öhat sich sogar gegen den unheilvollen Zeitgeist aufgelehnt – und das obgleich seine Predigten von Parteigängern und Gestapo-Leuten mit schöner Regelmäßigkeit an Partei und Staatsanwaltschaft gemeldet wurden.
Fischer war ein „unkonventioneller Vertreter seines Stands“, aber kein Revolutionär. Gleichwohl würde er nach heutigem Terminus als „Linker“ gelten. Er trat denen entschieden entgegen, die ihn zu mäßigen versuchten und ihn bewegen wollten, die kirchliche Lehrmeinung zu akzeptieren. Einen „sperrigen Charakterkopf“ nannten die Kaplan die Leute in seiner ersten Gemeinde, dennoch blieb er 19 Jahre unter ihnen. Bis zu seinem Tod 1952 hielt es ihn dann in Durach bei Kempten, einer 1700-Seelen-Gemeinde. Dort äußerte er sich zuweilen als ein Katholik, der sogar Verständnis für die Ideen des Reformators Martin Luther empfand. Wiederholt wandte er sich schriftlich gegen „Entartungen und Verfälschungserscheinungen“ in der erneuerungsbedürften katholischen Kirche. Und er bekannte sich zur Ökumene. Seinen kritischer Katholizismus taten Glaubensbrüder als „eigenartige Anschauungen“ ab. Fischer aber geißelte die Heuchelei seiner geistlichen Mitstreiter und positionierte sich als Gegner einer „Generalverurteilung des Sozialismus“. Zugleich trat er für die Versöhnung der Kirche mit den Arbeitern ein – immerhin eine Forderung, der sich 1975 erst die Würzburger Synode annahm. Wie er sich auch offenbarte, die Duracher und die Allgäuer ließen ihn gewähren und wählten ihn sogar zu ihrem Dekan und Ehrenbürger.
Walter Ansbacher schreibt von einer „schwer verständlichen Loyalität der Kirche bei gleichzeitiger ideologischer Opposition“ in den zwölf NS-Jahren. Das nationalsozialistische Programm wurde zunehmend als „unvereinbare Irrlehre“ empfunden. Das Konkordat zwischen dem Staat bewahrte die katholische Kirche lange Zeit vor Nachstellungen des Regimes. Bald aber offenbarte sich der „softe“ Hitler als großer Täuscher und das Ende des politischen Katholizismus deutete sich an.
Zurück zu Anton Fischer. Er und die Partei gerieten wiederholt aneinander, aber der Geistliche fand doch immer wieder geneigte Freunde, so dass er nicht mit anderen Regimekritikern das Konzentrationslager teilen musste. Zu zehn Reichsmark verdonnerte ihn die Behörde, weil er 1933 einem Paar den kirchlichen Segen gab, obgleich es noch nicht standesamtlich getraut worden war. Das war aber noch das harmloseste Vergehen. Vier Jahre später musste er sich in der örtlichen Zeitung einen „Lügner“ nennen lassen und die Partei stieg ihm wegen „feindseeliger Einstellung“ hinterher. Der regimekritische Geistliche hatte viel Glück, aber auch Freunde im Verborgenen, wie beispielsweise den Landrat, der den einen oder anderen Vorgang einfach unter den Tisch fallen ließ. Der Amtsherr war ein heimlicher Gegner des Systems, der dem Pfarrer auch dabei half, einer jüdischen Konvertitin im Pfarrhaus sozusagen „Kirchenasyl“ zu gewähren. Die Kirche ließ Fischer an den nationalsozialistischen Feiertagen nicht mit der Hakenkreuzfahne beflaggen, kassierte dafür aber nur eine kulante „Strafe“ von einer Reichsmark. Im Normalfall waren für diese Missetat 50 RM fällig. Kein Wunder, dass er angesichts seiner versteckten Andeutungen in den Predigten als „Kanzelhetzer“ gescholten wurde. Und weil er an einem Allerheiligen-Festtag, der auf einen Montag gefallen war, die Messe las, obgleich das nach dem NS-Kalender am darauffolgenden Sonntag der Fall sein sollte, erfuhr selbst der Reichsjustizminister von der Existenz des aufsässigen schwäbischen Geistlichen. Infolge der NS-Literaturpolitik geriet auch die Duracher Pfarrbücherei unter die Räder, indem sie in die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ Eingang fand.
„Ich fühle die Größe der Stunde“ notierte Anton Fischer am 29. April 1945, als die amerikanischen Panzer vorbeidonnerten. Ihm war es mit Glück und Geschick beschieden, nicht in die Fänge der nationalsozialistischen Eiferer zu geraten. Im neuen Deutschland, das er aber nur mehr sieben Jahre erlebte, verehrte ihn seine Gemeinde und auch die Amtskirche äußerte sich stolz angesichts ihres mutigen Vertreters. WERNER FALK
Der Jahresband 2020 (54. Jahrgang) des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte ist im Konrad-Verlag erschienen. ISBN 978-3-87437-596-2.
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