Beitrag von Werner Neumann in „Alt-Gunzenhausen“
Heute sorgt der Sozialstaat dafür, dass die Menschen in Würde leben können. Freilich gibt es soziale Verwerfungen in unserer Gesellschaft, die es den armen Leuten schwer machen, im Alltag bestehen zu können. Zu teuer ist das Leben geworden. Natürlich sind auch die Ansprüche gestiegen. Wo die Sozialgesetze nicht greifen, da setzen die freiwilligen Hilfen von Verbänden und Vereinen und die Nachbarschaftshilfe ein. Den armen Menschen in der Stadt unter die Arme zu greifen – diese soziale Verpflichtung ist aber nicht neu. Schon vor 200 Jahren hat es in der Stadt Gunzenhausen ein organisiertes Stiftungs- und Armenwesen gegeben. Die Gemeinden standen in der Pflicht der Armenfürsorge. Es gab den Armenpflegschaftsrat und die Armenkasse.
In der neuen Ausgabe des Jahrbuchs „Alt-Gunzenhausen“ befasst sich Werner Neumann mit dem Armenwesen in Gunzenhausen von 1818 bis 1918. Geldzuwendungen für Miete, Kleidung, Begräbniskosten, Lehr- und Schulgeld bekamen 1818 nach Darstellung des Autors 69 Personen. Er bezieht sich auf den Bericht des Armenkassiers Johannn Adam Heydrich, der ein finanzielles Defizit zu beklagen hatte. Die Einträge aus dem Opferstock, die freiwilligen Beiträge der Bürgerschaft, die abgegebenen Strafen des hiesigen Landgeichts und der Erlös von konfiszierten Vitualien waren niedriger als die Ausgaben.
1821 hieß es in einem Rechenschaftsbericht des Magistrats, man sei bestrebt, die Quellen der Armut möglichst zu stopfen, zugleich aber wird vermerkt, dass diesem Bemühen „keine genügenden Ergebnisse“ entgegenstehen. Es mangelte in der fabriklosen Stadt einfach an Gelegenheiten, die Leute in Arbeit zu bringen. Dem Plan, ein Arbeitshaus zu errichten, standen „unüberwindliche Hindernisse“ im Wege.
Immerhin konnte Gunzenhausen damals schon Furore machen, denn dem Armenpflegschaftsrat gehörte mit Ernestine Reichel die erste Frau an. Sie war Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und erste Stadträtin in Gunzenhausen. Reichel arbeitete im 16-köpfigen Armenrat mit, er sich aus jeweils acht Stadträtin und Vertretern der Einwohnerschaft zusammensetzte.
Der Plan des Armenpflegschaftsrats, der 1854 bei der Stadt den Neubau eines Armenhauses beantragte, ging aber nicht in Erfüllung, denn es wurde amtlich beschieden, „dass der beabsichtigte Bau eines Armenhauses vor der Hand nicht eintreten kann“. Dennoch blieb die Forderung im Raum stehen und um 1880 kam es zur Umfunktionierung des „Brechhauses“ in der Frankenstraße (heute: Albert-Schweitzer-Straße), das bis 1925 bestand.
Wie Autor Werner Neumann schreibt, müssen die Zustände im Armenhaus zuweilen ausgeartet sein. Aus dem Jahr 1896 wird berichtet, dass man sich durch die „Eczesse“ des ledigen Maurers Karl Vorbrugg, der infolge dessen seine Unterkunft verlor, gezwungen sieht, eine Hausordnung zu erlassen. Die künftigen Bewohner hatten sich demnach einer ärztlichen Untersuchung und Reinigung ihres Körpers zu unterziehen, sie durften eigenmächtig keine fremden Personen beherbergen, mussten wöchentlich einmal die Gänge, Treppen, Höfe und Vorplätze gründlich reinigen, waren aber von der Bezahlung einer Miete befreit. Wie aus den Unterlagen von 1896 hervorgeht, hatten sich die Bewohner „gegenseitig ruhig und anständig“ zu verhalten und „sich jederzeit der strengsten Ordnungsliebe hinzugeben“. Dem Aufsichtspersonal gegenüber hatten sie jederzeit „ein ruhiges und anständiges, bescheidenes Benehmen an den Tag zu legen“. Außerdem war ihnen auferlegt, sich „übermäßigen Genusses geistiger Getränke zu enthalten“. Im Falle des „ungerechtfertigten Ungehorsams“ wurde die amtliche Unterstützung versagt.
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