Umstrittener Raketenforscher

„Weißenburger Blätter“ widmen sich Rudolf Nebel

Foto: Stadtarchiv Weissenburg

Die Schüler der Weißenburger Realschule kennen seinen Namen, aber wissen sie auch etwas über Rudolf Nebel? Der örtliche Historiker Thomas Wägemann kann ihnen helfen, denn er hat zum „Raketenforscher aus Weißenburg“ geforscht und schreibt dazu  in der neuen Ausgabe der „Weißenburger Blätter“, die kostenlos erhältlich sind.

Rudolf Nebel  (1894-1978) lebte nur die ersten fünf Jahre seines Lebens unterhalb der Wülzburg. Seine Mutter war eine Tochter des Weißenburger Büchsenmachers Ernst Staudinger, der wiederum als technikbegeistert galt und als Mitglied des Veloziped-Clubs stolz mit dem Hochrad durch die Stadt fuhr.  Sein Vater war ein aus Koblenz stammender Kaufmann. 1903 kam Rudolf Nebel  nach Nürnberg, wo er an einem selbst gebauten Flugdrachen experimentierte.  Mit seiner „Libelle“ hob der Pilot sogar vom Boden ab, aber der aufziehende Erste Weltkrieg zerstörte alle kühnen Pläne. Er kam zu einer Jagdfliegereinheit nach Schleißheim, wo der spätere Reichsmarschall Hermann Göring sein Staffelkamerad war. 1916 wurde er von einem englischen Jagdflugzeug abgeschossen, überlebte und machte sich Gedanken zur Entwicklung einer Luft-Luft-Rakete.  Die brachte er tatsächlich zum Einsatz, aber eher gegen sich selbst gerichtet.  Er stürzte nach elf feindlichen Abschüssen selbst ab und konnte aus seinem brennenden Wrack gerettet werden.

Nach dem Krieg war er bei Siemens in München und Berlin. Das Raketenfieber ließ ihn nicht los. Mit anderen Konstrukteuren konkurrierte er. Die Raketentechnik faszinierte die Menschen, die UFA schuf einen Sensationsfilm. Nebel wurde Assistent des berühmten Raketenpioniers Hermann Oberth auf dem „Raketenflugplatz Berlin“. Die Entwickung von Raketen war eigentümlicherweise nicht vom Versailler Vertrag betroffen. Die Kooperation mit den Leute des Heereswaffenamts endete aber im Streit. Man kritisierte „seine Unehrlichkeit, mangelnde Sachlichkeit, seine Neigung sensationslüsterne Artikel zu verfassen und seine unverfrorene Art der Selbstdarstellung“. Als Nebel 1932 mit Hilfe von Wernher von Braun und weitere Raketentechnikern unter strikter Geheimhaltung „ein merkwürdig aussehendes Gerät“ zündete, der Versuch aber mit dem Absturz der Rakete endete, war es endlich vorbei  mit der Geduld der HVA, das ihm  nachfolgend „mit größtem Misstrauen“ begegnete. Die Nazis untersagten die private Raketenforschung der „Narren von Tegel“  und schlossen den Testplatz. Als ein gigantischer Flop erwies sich 1932 die „Magdeburger Pilotenrakete“. Rudolf Nebel verschätzte sich nicht nur technisch, auch politisch setzte er auf das falsche Pferde. Er trat dem „Stahlhelm“ von Ernst Röhm bei, einem paramilitärischen Wehrverband.  Hitlers Mordaktion entkam er mit heiler Haut.

Während des Zweiten Weltkriegs machte er als Konstrukteur eines „Rückstoßmotors für flüssige Treibstoffe“ von sich reden. Fritz Todt, der spätere Reichsminister für Bewaffnung und Munition, kaufte ihm sein Patent ab, aber damit verpflichtete sich Nebel zur Geheimhaltung. Faktisch war das für ihn der Ausschluss aus der Raketenforschung.

Im Kriegsjahr 1943 bekam Nebel einen Rüstungsauftrag im „Mittelwerk Dora“ in Kohnstein/Harz. 100 Häftlinge arbeiteten dort bei der Fertigung von Rudermaschinen für die V1 (Vergeltungswaffe 1), einem unbemannten Flugkörper, der 30300mal produziert wurde. Über die „Vernichtung durch Arbeit“ hat Nebel nichts der Nachwelt überliefert, gleichwohl aber schwärmt er von „utopisch wirkenden Fertigungshallen“ und „der größten unterirdischen Fabrik der Welt“.  Nun, die Amerikaner rückten in den letzten Kriegstagen auch in Kohnstein ein. Die meisten der 500 Raketenspezialisten hatten den Befehl bekommen, sich nach Oberbayern abzusetzen – außer Rudolf Nebel.

Die Siegermächte teilten sich die Spezialisten auf und Nebel kam zu den Russen, wo er nach eigenem Bekunden bis 1947 in der sowjetischen Raketenforschung tätig war und später geflohen ist.  Die Kriegserlebnisse hatten an seinem Selbstbewusstsein nicht nagen können, denn er ließ sich 1950 als Vortragsreisender gern als Vater oder Schöpfer der V2 ankündigen. Es kam zu einem juristischen Streit zwischen Wernher von Braun und Rudolf Nebel über deren Anteil an der Vergeltungswaffe 2.  Vorwurf: das Patent Nebels sei vergleichbar mit einem Patent für einen Papierdrachen. Von Braun nannte Nebel einen „ungewöhnlich befähigten Geldschnorrer, der von Wissenschaft nichts und von Technik nur wenig verstand“.

Auf Ungereimtheiten im Leben Nebels  ist auch der Historiker Thomas Wägemann gestoßen. Dabei geht es um seine Glaubenszugehörigkeit. Einmal wird er amtlich als Jude geführt und er bestreitet das, ein anderes Mal behauptet er selbst, er sei als Jude verfolgt worden. Interessant ist für den Historiker, dass es eine jüdische Verlobte Herta Imbach tatsächlich gab, die sogar in Victor Klemperers „Ich will Zeugnis ablegen bis zum Letzten“ auftaucht. Nach dem Krieg lebte Nebel in Westfalen von Arbeitslosenunterstützung und einem Ehrensold, den ihm der Bundespräsident 1966 als Wiedergutmachung für seine Patente zuerkannte.  Auch das Bundesverdienstkreuz wurde ihm verliehen.

Am 18. September 1978 starb Rudolf Nebel 84jährig in Düsseldorf. Sein Urnengrab befindet sich auf dem Weißenburger Südfriedhof. 1979 ließ die Stadt noch eine Ehrentafel anbringen und seit 1969 ist die Staatliche Realschule nach ihm benannt.

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