„Der erste Stellvertreter“

 Pulitzer-Preisträger enthüllt die  Beziehung zwischen Mussolini und dem Vatikan

Nach vierzehn Wahlgängen hieß es am 6. Februar 1922 endlich: „habemus papam“. Der Mailänder Erzbischof Achille Ratti trat als Papst Pius XI. vor die jubelnde Menschenmenge auf dem Petersplatz in Rom. Italien durchlebte damals stürmische Zeiten: Nach dem Ersten Weltkrieg lag die Wirtschaft am Boden. Die Bevölkerung war unzufrieden mit den politischen Führern ihres Landes. Die Sozialisten verloren an Macht. Die Faschisten gewannen an Popularität. Ihr Führer war der Populist und Provokateur Benito Mussolini, der mit seinem „Marsch auf Rom“ schließlich die Macht an sich reißen sollte. Ohne die Unterstützung des Vatikans und die Rückendeckung durch den neuen Papst wäre Mussolinis Machtergreifung nicht denkbar gewesen. Dies enthüllt Stellvertreterder US-amerikanische Historiker David I. Kertzer in seinem bahnbrechenden und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Buch „Der erste Stellvertreter. Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus“, das am 15. September in deutscher Übersetzung im Theiss Verlag erscheint.

Lange hat sich der Mythos gehalten, der Vatikan hätte dem italienischen Faschismus heldenhaft die Stirn geboten, die Päpste seien Gegner der Diktatur gewesen und die „Katholische Aktion“ als kirchliche Organisation der Laien eine der stärksten Oppositionskräfte. „Leider“, so urteilt Kertzer, „hat diese Geschichte wenig mit derWirklichkeit zu tun.“ Denn der Vatikan habe eine zentrale Rolle dabei gespielt, „dasfaschistische Regime möglich zu machen und es an der Macht zu halten“. Kertzer fasst die bahnbrechenden Ergebnisse seiner Forschungen so zusammen: „Die Katholische Aktion arbeitete eng mit den faschistischen Behörden zusammen, um die Repressionen der Polizei zu unterstützen. Die Kirche protestierte keineswegs gegen die Behandlung von Juden als Bürger zweiter Klasse, sondern lieferte Mussolini die stärksten Argumentefür die Einführung solcher harten Maßnahmen. Wie ich gezeigt habe, schloss der Vatikan mit Mussolini einen geheimen Handel, die antisemitischen Rassengesetze nicht zu kritisieren, wenn katholische Organisationen besser behandelt würden.“

Mehr als sieben Jahre hat Kertzer in seine Forschungen investiert, die bei ihrer Veröffentlichung im Jahr 2015 große Wellen schlugen. Journalisten und Wissenschaftler feierten ihn für sein Buch, das nicht nur eingehend die Geschichte dieser verhängnisvollen Verbindung zwischen Mussolini und dem Vatikan hinterfragt und beleuchtet, sondern diese auch packend und mitreißend erzählt. „Eine faszinierende und tragische Geschichte“, lobte die Zeitschrift The New Yorker.

Diese Geschichte konnte endlich enthüllt werden, weil der Vatikan im Jahr 2006 seine Archive für die dramatische Periode unter Pius XI. öffnete. Kertzer zeigt auf, dass der Papst und Mussolini trotz ihrer offensichtlichen charakterlichen Unterschiede vieles gemein hatten: Denn beide hatten ein überaus aufbrausendes Temperament und beide waren durch und durch Antidemokraten. Er rückt zudem auch Männer in den Fokus, die für diese nicht unproblematische Beziehung eine wichtige Rolle gespielt haben; wie beispielsweise der Jesuitenpater Pietro Tacchi Venturi, der als Mittelsmann des Papstes bei Mussolini agierte. Papst Pius XI aber hat viel zu spät, erst am Ende seines Lebens, realisiert, dass er einen Pakt mit dem „Teufel“ eingegangen ist …

Mit „Der erste Stellvertreter“ bringt Kertzer erstmals die volle Wahrheit über diesetragische und dramatische Episode Italiens und des Vatikans ans Tageslicht – ein Buch,das selbst Geschichte schreiben wird.

David I.Kertzer: „Der erste Stellvertreter“ (Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus);  Aus dem Englischen von Martin Richter; Vorwort von Hubert Wolf; Theiss Verlag – WBG 2016; 656 Seiten,  38 Euro; ISBN: 978-3-8062-3382-7; Erscheinungsdatum: 15. September 2016

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One Thought on “„Der erste Stellvertreter“

  1. Karlheinz Schilder on 3. September 2016 at 14:06 said:

    Hallo Werner,

    Danke für den Buchtip, solche Zusammenhänge sind immer sehr interressant.

    Gruß Heinz

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