Bericht eines Augenzeugen des Holocausts

Shloma Birnbaum erinnert sich an seine Kindheit

Als die Deutschen am 1. September 1939 mit dem Einmarsch in Polen den Zweiten Weltkrieg lostreten, bricht für den damals zwölfjährigen Shlomo Birnbaum eine Welt zusammen. Von einem Tag auf den anderen ist seine Kindheit zu Ende. Erwachsen wird er in der Hölle des Naziterrors, dem seine Mutter, seine Schwestern und Brüder zum Opfer fallen. Birnbaum überlebt. Dank seines Vaters. Als er schließlich auch im Nachkriegspolen Anfeindungen und Antisemitismus ausgesetzt ist, beschließt er, zusammen mit seinem Vater nach Deutschland zu fliehen. In dem Land, das seine Familie auf dem Gewissen hat, gründet er schließlich eine Familie. Seine tragische, erschreckende, bewegende und berührende Geschichte erzählt der heute 89-Jährige erstmals in dem Buch „Ein Stein auf meinem Herzen. Vom Überleben des Holocaust und dem Weiterleben in Deutschland“. Aufgeschrieben hat sie der renommierte jüdische Schriftsteller Rafael Seligmann. Das Buch erscheint im Verlag Herder.Ein Stein

„Seit ich 15 bin, habe ich nicht mehr zu Gott gebetet“, schreibt Birnbaum. „Damals, 1942, als das Böse herrschte, dessen Opfer meine Mutter, meine Geschwister und bald auch unsere ganze Gemeinde wurden, habe ich meinen Glauben verloren. Mein Enkel ist in München geboren. In Deutschland, wo ich nie sein wollte und doch die letzten siebzig Jahre, also fast mein ganzes Leben, verbracht habe. Hier habe ich eine Familie gegründet. Ich habe meine Frau Helen aus Israel hierher gebracht. In München sind unsere Kinder zur Welt gekommen, nun auch Enkelkinder. Dass all dies Segensreiche, das uns widerfahren ist, in einem Land geschah, das zu keiner Zeit das meine war, werde ich niemals verstehen.“

In seinem Buch erinnert sich Birnbaum an seine Kindheit, an die Bedeutung des religiösen Lebens für seine Familie. Er erzählt davon, wie die Familie schließlich zusammen mit den anderen Juden der Stadt 1941 von den deutschen Besatzern in ein Ghetto umgesiedelt wird. Den von Hunger, Gewalt und Tod geprägten Alltag in diesem Ghetto beschreibt Birnbaum mit äußerster Akribie und eindringlicher Empathie, wie auch die Flucht, die der mutige und findige Vater organisiert. Als der Krieg schließlich zu Ende ist, finden sich Vater und Sohn in einem Polen wieder, das sich unter dem Druck der Sowjetunion in Richtung Sozialismus bewegt und gleichzeitig alte Animositäten gegen die jüdischen Mitbewohner aufleben lässt. Birnbaum und sein Vater entscheiden sich wieder zur Flucht. Diesmal geht es nach München, wo der Autor schließlich eine Familie gründet und heute seine Kinder und Enkel leben. Das Buch ist für Birnbaum auch ein Versuch, für sich zu klären, wie es ihm möglich war, gerade in dem Land, das ihm so viel Leid zugefügt hat, für sich eine neue Zukunft zu finden.

Es ist eine schmerzhafte, aber mitreißend lebensbejahende Geschichte, die Birnbaum erzählt und die durch Seligmanns wunderbar einfühlsame Sprache zum Leben erweckt wird. Eine Geschichte von einer starken Vater-Sohn-Bande, die tief berührt, vom Hadern und Ringen um den jüdischen Glauben, vom inneren Kampf mit einer Heimat, die eigentlich gar nicht zur Heimat hätte werden dürfen – eine universelle Geschichte vom Leben und Überleben, die eine drängend aktuelle Botschaft hat.

„Nicht nur wir Juden, alle müssen wachsam bleiben“, schreibt Birnbaum am Ende des Buches. „Der Nazismus, die Unmenschlichkeit ist keineswegs tot. Es gibt weltweit verwandte Kräfte, die ähnliche Verbrechen gegen Wehrlose und Unbeteiligte planen und ausüben. Wir dürfen ihnen nie wieder Menschen ausliefern. Verbrecher beschwichtigen zu wollen, ist heute ebenso falsch wie es 1938 war.“
Bibliografie

Shlomo Birnbaum/Rafael Seligmann: „Ein Stein auf meinem Herzen“, Originalausgabe, Gebunden mit Schutzumschlag,  176 Seiten, Verlag Herder, ISBN: 978-3-451-37586-6.

Ab 19. September 2016 im Handel erhältlich.

Zu den Autoren:

Shlomo Birnbaum, geboren 1927, war bis zu seiner Pensionierung Unternehmer in München. Aufgewachsen ist er in einem jüdisch-orthodoxen Haus im polnischen Tschenstochau. Er überlebt das Naziregime im Ghetto und flieht in den 1950er-Jahren aus Polen nach Deutschland.

Rafael Seligmann, 1947 in Tel Aviv geboren, hat sich einen Namen als Publizist, Schriftsteller und Politologe gemacht. In seinen Büchern, von denen viele zu Bestsellern wurden, zeigt er sich als Analyst und Kritiker des deutsch-jüdischen Verhältnisses.

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